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Universität
Passau
Katholisch-Theologische
Fakultät
Lehrstuhl
für Christliche Gesellschaftslehre und Pastoraltheologie
Dr.
Walter Friedberger
Wintersemester
1998/99
Seminar
Das
staatliche Gemeinwohl in der Spannung von Recht und Gerechtigkeit.
Die
Frage des zivilen Ungehorsams und Anarchismus.
Gegner
im eigenen Land.
Die
Katholische Kirche und ihr Widerstand im Zweiten Weltkrieg.
vorgelegt
von:
Oliver
Dicklhuber
Domplatz
5
94032
Passau
Kath.
Theologie, Diplomstudiengang, 2. Semester
am:
7. 5. 1999
Gliederung:
I. Einführung
II. Die Fortsetzung des Kirchenkampfes
1.
Das Verbot der kirchlichen Organisationen
2.
Die kompromißlose Haltung Preysings
3.
Die „Eingabepolitik“ Bertrams
4.
Das Gratulationsschreiben Bertrams zu Hitlers Geburtstag
5.
Der Riß im deutschen Episkopat
III. Der Kampf gegen die Euthanasieverbrechen
1.
Der Protest Bertrams und der Bischofskonferenz
2.
Der Geheimerlaß Hitlers
3.
Die Vernichtungsanstalten
4.
Ein Beispiel: Ursberg
5.
Faulhabers geheime Protestnoten
6.
Der Abbruch der „Aktion T4“
IV. Die Kirche und die Deportation der Juden
1.
Die Resignation Bertrams
2.
Das Hilfswerk Preysings zugunsten „Katholischer Nicht-Arier“
3.
Kein Bischofswort zugunsten der Juden und der Papst als letzte Hoffnung
V. Die „Endlösung der Kirchenfrage“
VI. Beurteilung des Widerstandes der katholischen
Kirche im Zweiten Weltkrieg
I. Einführung
Propagandistische
Kraftanstrengung ohnegleichen war seit Mitte der dreißiger Jahre aufgewandt
worden, um der deutschen Bevölkerung die nationalsozialistische Weltanschauung
als Religionsersatz einzuhämmern. Auf Massenbeeinflussung ziehlten die
kirchenfeindlichen Maßnahmen des Propagandaministeriums, dann die
Schulungskurse und -briefe aus dem Hause des radikalen Kirchenfeindes Alfred
Rosenberg, den Hitler zu seinem persönlichen Beauftragten für die Überwachung
der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP bestellt hatte.
Auf Massenbeeinflussung ziehlten eingehende Verordnungen aus mehreren
Reichsministerien ebenso wie demagogische Auftritte nationalsozialistischer
Spitzenfunktionäre bei eigens arrangierten Machtdemonstrationen: so der
Runderlaß Görings gegen den angeblich noch immer nicht überwundenen
politischen Katholizismus, so die bis zum Überdruß wiederholte Kampfparole
Fricks von der „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“, so die haßerfüllte
Rede Goebbels in der Berliner Deutschlandhalle nach den Sittlichkeitsprozessen
gegen katholische Ordensangehörige. Jahrelang geschürte Diffamierungskampagnen
gegen Laien und Priester machten deutlich, dass der Kampf gegen die katholische
Kirche zum offiziellen Regierungskurs der Berliner Machthaber gehörte, wenn
sich auch Hitler selbst dabei stets im Hintergrund hielt.
Mit
dem 1. September 1939 konzentrierte sich das Interesse der deutschen Öffentlichkeit
auf das Schicksal der Soldaten im Osten, dann im Westen, schließlich in ganz
Europa und Nordafrika. Der zentral verordnete Jubel über die anfänglichen
Erfolge der deutschen Truppen gestattete den braunen Befehlshabern, ihre Zurückhaltung
im Umgang mit großen christlichen Kirchen nach und nach zu lockern. Was sie
nach dem „Endsieg“ mit den Kirchen vorhatten, wird bereits während des
Krieges erkennbar.
II. Die Fortsetzung des Kirchenkampfes
1. Verbot der kirchlichen Organisationen
Besondere
Unterdrückungsmaßnahen galten den einst mitgliederstarken Laienorganisationen,
deren verbliebene Reste ungebrochen Selbstbehauptungswillen zeigten. Im Februar
1939 wurde der Katholische Jungmännerverband endgültig verboten. Wenig später
traf Gestapowillkür die Jugendbünde Neudeutschland und Quickborn, dann den
Albertus-Magnus-Verein und das Hilfswerk für Priesterberufe.
Wer
etwa erwartet hatte, der Kriegsbeginn werde einen innenpolitischen Frieden
zwischen Staat und Kirche erzwingen, sah sich getäuscht. Nachdem noch im Sommer
1939 der Religionsunterricht in den Berufsschulen formell abgeschafft worden
war, wurde unmittelbar vor Kriegsbeginn eine formlose Schließung aller bischöflichen
Knabenkonvikte angezeigt. Dieselbe Politik setzte sich schon im Oktober 1939 mit
der Ankündigung der Beschlagnahmung sämtlicher katholischer Privatschulen
fort.
Die
Zerschlagung der überregionalen katholischen Verbände ließ auch deren Führungskräfte
- Geistliche und Laien - in den Hintergrund treten. Die Hauptlast für eine
Verteidigung der Kirche gegen die totale Diktatur verlagerte sich deshalb immer
mehr auf die Bischöfe, vor allem auf die Fuldaer Bischofskonferenz und deren
Vorsitzenden, den inzwischen 80jährigen Kardinal und Fürsterzbischof von
Breslau Adolph Bertram.
2. Die kompromißlose Haltung Preysings
Zwei
unterschiedliche Strategien wurden von Berlin und von Breslau aus propagiert. In
Berlin war es der dortige Bischof Konrad Graf von Preysing, der in unmittelbarer
Nachbarschaft der nationalsozialistischen Machtzentralen residierte und dort
einen relativ großen Freiraum genoß, wie er den Berlinern noch bis in die
ersten Kriegsjahre hinein wegen der Anwesenheit ausländischer Diplomaten und
Pressevertreter eingeräumt wurde. Als ehemaliger Jurist im Auswärtigen Dienst
besaß Preysing mehr als die anderen Bischöfe ein sicheres Gespür für die
besonderen Spielregeln der Politik, für das politisch Durchsetzbare, für die
triste Realität hinter den schönfärberischen Wort-Kaskaden der Propaganda.[1]
Über
viele Jahre hat Preysing im Kreise seiner Kollegen eine Politik des energischen,
öffentlichen Protestes durch die Deutsche Bischofskonferenz gefordert. Erst
eine Mobilisierung der deutschen Öffentlichkeit werde die braunen Machthaber
zum Einlenken bewegen, wenn sie nämlich einen Stimmungsabfall im katholischen
Bevölkerungsteil zu spüren bekämen. Dies gelte noch mehr seit Kriegsbeginn.
Mehrfach bestürmte Preysing die Bischofskonferenz und ihren Vorsitzenden
Kardinal Bertram in diesem Sinne. Weil schriftliche und telephonische Kontakte
zwischen Berlin und Breslau von der Gestapo abgefangen wurden, schickte Preysing
dazu seinen engsten Vertrauten, Domvikar Walter Adolph, als Kurier auf die
Bahnreise in die Hauptstadt Schlesiens. All seine Bemühen sollten jedoch
vergebens bleiben: bis zum Ende der Naziherrschaft konnte sich der Berliner
Bischof - Oberhirt mit wenigen Dienstjahren - gegen den erfahrenen und
unbeugsamen Fürsterzbischof in Breslau kein einziges Mal durchsetzten.
Preysing
spürte sehr wohl, dass auch der Kardinal in Breslau die kirchenpolitische Lage
ähnlich wie er selbst einschätzte: der nationalsozialistische Staat hatte der
Kirche einen totalen Weltanschauungskampf aufgezwungen, der nur einen einzigen
Überlebenden dulden würde. Trotzdem lehnte Bertram einen offenen
Konfrontationskurs gegen die nationalsozialistischen Machthaber aus grundsätzlichen
Erwägungen ab. Er hegte die Befürchtung, dass die deutschen Katholiken einer
Zerreißprobe zwischen Staat und Kirche nicht gewachsen sein würden. Verhaltene
Begeisterung für manche Erfolge der nationalsozialistischen Bewegung, Einsicht
in staatspolitische Notwendigkeiten der Zeit und die Gewohnheit, bürgerlichen
Gehorsam zu leisten, werde viele Katholiken in ihrer Treue zur Kirche
irreleiten.[2]
3. Die „Eingabepolitik“ Bertrams
Dabei
war Bertram kein passiv leidender Dulder. Vielmehr hat er im Namen der deutschen
Bischöfe gegen gewaltsame Einschnürungen des kirchlichen Lebens mit einer
erstaunenswerten Fülle von schriftlichen Eingaben, Noten, Denkschriften und
Rechtsverwahrungen an die Reichskanzlei und die Berliner Ministerien, an NS-Verbände
und Parteigliederungen, an Spitzenfunktionäre und an Hitler selbst in aller
Deutlichkeit protestiert, bisweilen wöchentlich - dies aber mit jener
Verschwiegenheit, die er für geboten hielt.
Damit
stützte Bertram unfreiwillig jene Fiktion eines Friedensverhältnisses zwischen
Staat und Kirche, das die nationalsozialistische Propaganda glauben machen
wollte. Nach Kriegsausbruch schließlich war er noch weniger zu einer
Modifizierung seiner „Eingabepolitik“ zu bewegen, weil er meinte, die
deutschen Katholiken (und sich selbst) nun zusätzlich vor einer Anklage wegen
„Feindbegünstigung“ schützen zu müssen.[3]
Walter
Adolph notierte nach einem seiner Besuche in Breslau, dass es oberstes Ziel des
Kardinals sei, jener Beeinträchtigung von kirchlichen Rechten und
Lebensnotwendigkeiten entgegenzuwirken, jene Spannung von sich aus zu vermeiden
und alle Gefahren von der Kirche abzuwenden.[4]
Darum
genau ging es ihm: „alle Gefahren von der Kirche abzuwenden“. Über die zu
erwartende Reaktion der Nationalsozialisten auf öffentliche Proteste der Kirche
war er sich sehr wohl im klaren. Als er mitten im Krieg einmal einen Brief des
Papstes an die deutschen Katholiken eigenmächtig zurückhielt, erklärte er
diese Entscheidung gegenüber dem Kardinalstaatssekretär mit der Begründung
des Zornes der Machthaber über eine solche Verlautbarung des Heiligen Vaters.
„Flammender
Zorn“ aber könnte die Reaktion der Regierung zum Schaden der Kirche noch
unberechenbarer machen, so die Befürchtung Bertrams.
4. Das Gratulationsschreiben Bertrams zu Hitlers Geburtstag
Es
war die Handlungsmaxime, die den Vorsitzenden im April 1940 aus eigenem Antrieb
im Namen aller deutschen Bischöfe - aber ohne Rücksprache mit diesen - in
einem Gratulationsschreiben zu Hitlers Geburtstag ein Treuebekenntnis „für
Staat und Führer“ ablegen ließ. Dieses Bekenntnis enthielt die ausdrückliche
Versicherung, dass die katholische Kirche für Volk, Heer und Vaterland, für
Staat und Führer beten würde.[5]
Für
Preysing war dies ein unverzeihlicher kirchenpolitischer Mißgriff. So verärgert
war er, dass er ernsthaft seinen Austritt aus der Fuldaer Konferenz, ja sogar
seinen Rücktritt als Bischof von Berlin erwog. Dazu kam es dann doch nicht; übergeordnete
Rücksichten, vor allem die Bitte des Papstes, besänftigten schließlich den
diplomatisch geschulten Oberhirten. Er bekundete aber dennoch sein Mißfallen über
die Strategie des Konferenzvorsitzenden und legte das Pressereferat, das er seit
1935 innehatte, ungeachtet aller Beschwichtigungsversuche, in die sich auch der
politisch unbedarfte päpstliche Nuntius einschaltete, nieder.
5. Der Riß im deutschen Episkopat
Der
Riß im deutschen Episkopat war endgültig. Künftig gruppierten sich um
Preysing jene Bischöfe, die eine energische, öffentliche Abwehrhaltung befürworteten.
Bertram aber behielt trotz seines Alters und trotz angegriffener Gesundheit die
Zügel fest in der Hand. Und an seiner eigenwilligen Abwehrstrategie hielt er
fest bis zum bösen Ende: In einer Art Trotzreaktion sandte er auch in den nächsten
Jahren - bis zum 20. April 1944 - Glückwunschadressen ins Führerhauptquartier,
nicht mehr als Konferenzvorsitzender zwar, aber als Erzbischof von Breslau.
Die
Berliner Regierung hat übrigens vom Zerwürfnis im deutschen Episkopat wenig
erfahren; und der katholischen Bevölkerung sind diese Vorgänge überhaupt erst
lange nach Kriegsende bekannt geworden.
III. Der Kampf gegen die Euthanasieverbrechen
1. Der Protest Bertrams und der Bischofskonferenz
Auf
derselben Plenarkonferenz, die die Krise der deutschen Bischöfe beilegen
sollte, auf der Fuldaer Vollversammlung im August 1940, stand auch das Thema
„Euthanasie“ erstmalig auf der Tagesordnung. Wenige Wochen zuvor waren dem
Konferenzvorsitzenden aus Westfahlen und Baden zuverlässige Nachrichten über
die planmäßige Ermordung geistig und körperlich Behinderter zugegangen. Die
Berichte waren vertrauenswürdig und doch so ungeheuerlich, dass sich Bertram
noch vor Zusammentritt der Bischofskonferenz entschloß, einen geharnischten
Protest an die Reichskanzlei, an das Reichsinnenministerium und an den
Reichskirchenminister zu richten.[6]
Das Plenum der Bischöfe machte sich zehn Tage später den Protest Bertrams
nachdrücklich zu eigen und verbot „den katholischen Pflegeanstalten, aktiv
bei der Verbringung ihrer Insassen mitzuwirken“.[7]
2. Der Geheimerlaß Hitlers
Was
Bertram und die anderen Bischöfe zu dieser Zeit nicht wissen konnten, war überhaupt
nur einer Handvoll Zeitgenossen bekanntgeworden: Hitler selbst hatte irgendwann
im Oktober des Jahres 1939 einen Geheimerlaß über einen zu gewährleistenden
„Gnadentod“ bei unheilbar Kranken niedergeschrieben.
Absichtlich
hatte Hitler dieses Schreiben auf den 1. September zurückdatiert, rückte seine
Anweisung doch auf diese Weise gedanklich in unmittelbare Nähe seines
Eroberungskrieges. So mußte der Euthanasiebefehl gleichsam die innere Reinigung
des deutschen Volkes ankündigen, zur selben Zeit da die äußere Neuordnung
eben in Angriff genommen wurde. Die ganze Maßnahme war darauf angelegt, ihren
Urheber in den eingeweihten Kreisen einmal mehr als den genialen, weit in die
Zukunft planenden „Führer“ auszuweisen.
3. Die Vernichtungsanstalten
Hitlers
Geheimbefehl blieb die einzige Grundlage für die unmittelbar danach
einsetztende „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, die von
nationalsozialistischen Rassehygienikern schon lange vor Kriegsausbruch
gefordert worden war. Hitler aber hatte seine eilfertige Paladine damals noch
vertröstet. Er war der Meinung, dass ein solches Problem im Kriege zunächst
glatter und leichter durchzuführen ist, dass offenbar Wiederstände, die von
kirchlicher Seite zu erwarten wären, in dem allgemeinen Kriegsgeschehen nicht
die Rolle spielen würden wie sonst.
Ganz
offen war der beabsichtigte Massenmord aber auch im Kriege kaum durchzuführen.
Die Aktion mußte möglichst geheimgehalten werden. Deshalb die vielen
Tarnorganisationen: So die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und
Pflegeanstalten“, zuständig für Leitung und Organisation der Tötungsmaschinerie.
Ihre Direktoren legten sich zur Tarnung Decknamen zu. Die Mordbehörde bezog ein
unscheinbares Haus in Berlin-Charlottenburg, Tiergartenstraße 4 („T4“), und
verbarg ihre wahren Aktivitäten nach dieser Büroadresse offiziell unter diesem
Kürzel. Vernichtungsanstalten wurden nach und nach mehr eingerichtet. Zur
Verschleierung der wahren Absichten nannte man sie zynisch „Geheimnützige
Stiftungen für Anstaltspflege“. Die Namen der berüchtigten Orte wurden im üblichen
Schriftverkehr kaum ausgeschrieben, sondern zur Tarnung durch Buchstaben
ersetzt.
4. Ein Beispiel: Ursberg
Auch
im schwäbischen Ursberg befand sich ein Heim für fast 2000 Bewohner. Diese
wurden von 600 Schwestern der St.-Josephs-Kongregation unter Leitung von
Generaloberin Sr. M. Desidera Braun betreut. Die Berliner T4-Zentrale übertrug
nun nach neuen Einlieferungen ins Heim der Leitung in Ursberg die Auswahl der
zur „Verlegung“ bestimmten Heimbewohner.
Die
Ursberger Generaloberin wandte sich in ihrer Not an den Regierungspräsidenten
und an den Bischof, wurde aber hier wie dort enttäuscht. Ein Widerstand gegen
die angeordneten Maßnahmen sei jetzt nicht mehr möglich, erfuhr sie in
Augsburg.
Der
ehemalige Ursberger Superior Josef Huber, seit 1934 Pfarrer in Nesselwang,
zeigte sich weniger hilflos und bat um eine Audienz bei seinem Bischof Joseph
Kumpfmüller in Augsburg und wollte so eine wirksame Intervention der deutschen
Bischöfe gegen diesen Mißstand durchsetzten. Er war überzeugt, dass man nur
öffentlich wirksam Protest ausüben konnte. Er dachte an eine Kanzelerklärung
oder an einen Aufruf über den Vatikansender.
Bischof
Kumpfmüller machte sich diese Argumentation Hubers auch zu eigen und gab die
Anregungen an den Münchner Erzbischof Michael Kardinal Faulhaber weiter. Dieser
hielt einen öffentlichen Protest für unangebracht und meinte, dass die
Regierung um so schneller ein förmiches Gesetz erlassen werden, das die
Euthanasie auf eine dann rechtlich schwer haltbare Grundlage stellen würde.
Doch gerade dies wollte Hitler vermeiden, da er die Unruhe im Volk fürchtete.
5. Faulhabers geheime Protestnoten
Anfang
November 1940 erst sah sich Faulhaber veranlaßt, seinen Vorbehalt gegen eine
erneute Intervention aufzugeben. So verfaßte er am 6. November sein
Protestschreiben an den Reichsjustizminister, den Katholiken Dr. Franz Gürtner,
der sich Jahre zuvor gegen das Euthanasierecht ausgesprochen hatte. Eine
Bekanntgabe dieses Protestes an die Öffentlichkeit erfolgte allerdings nicht.
Lediglich die bayerischen Mitbischöfe erhielten eine Abschrift.[8]
Auch ein Dekret des Heiligen Offiziums vom 27. November 1940, das die sog. „Tötung
lebensunwerten Lebens“ verurteilte, wurde nur den deutschen Bischöfen
zugestellt, nicht aber der katholischen Bevölkerung bekannt gemacht. Eine
Antwort bekam Kardinal Faulhaber auf sein Protestschreiben nicht.
6. Der Abbruch der „Aktion T4“
Nach
mehreren Schlampereien in der „T4“-Zentrale, die vor allem in der
Benachrichtigung von Angehörigen der Getöteten bestanden, brach Hitler selbst
diese Aktion am 24. August 1941 ab. Dies geschah ebenso formlos, wie der Beginn.
Hitler sagte dies nur seinen Leibarzt, der diese Mitteilung telephonisch
weitergab. Trotz des offiziellen Euthanasie-Stopps wurde an vielen Orten noch
eine geheime Euthanasie betrieben, der viele Menschen zum Opfer fielen.[9]
Medizinische Versuche und regelrechte Aushungerung standen auf dem Tagesprogramm
solcher Heilanstalten. Eine verräterische Todesspritze wurde somit überflüssig.
Eine
große Anzahl von Opfern dieser Mordaktionen war die Bilanz. Die hohe Zahl von
70 273 Opfern gibt nur die in Tötungsanstalten Ermordeten an.[10]
Dazu sind noch jene zu zählen, die planmäßig ausgehungert worden oder nach
medizinischen Versuchen gestorben sind. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, sie
ist aber mit Sicherheit sechsstellig.
IV. Die Kirche und die Deportation der Juden
1. Die Resignation Bertrams
Als
wenige Wochen nach dem offiziellen Stopp der Euthanasiemaßnahmen der brutale
Abtransport der jüdischen Mitbürger begann, richtete Faulhaber einen Hilferuf
an Bertram. Dessen Antwort zeugt von kleinmütiger Resignation, wenn er von
einer „Abwanderung“ der Juden und „um die Durchführung eines
Grundprinzips“ der Regierung spricht. Bertram hält einen Protest völlig
aussichtslos.[11]
2. Das Hilfswerk Preysings zugunsten „Katholischer Nicht-Arier“
Anders
dachte der Berliner Oberhirte Preysing. Schon vor dem Krieg hatte er ein
Hilfswerk zugunsten „Katholischer Nicht-Arier“ gegründet, das bis zur
Schließung der Grenzen im Oktober 1941 Aswanderungswilligen beratend und
helfend zur Seite gestanden war.[12]
An die Spitze des kleinen Büros stellte sich nun Frau Margarete Sommer, eine
promovierte Volkswirtschaftlerin und Philosophin. Sie trat die Nachfolge von
Domprobst Bernhard Lichtenberg an, der im Sommer 1941 von der Gestapo verhaftet
worden war. Ihre Sorge galt politisch und rassisch Bedrohten, Christen und Juden
gleichermaßen. In unzähligen Fällen konnte sie diesen Menschen helfen und
Schrecklicheres von ihnen abhalten. Durch die Arbeit von Frau Sommer und ihrem
Vertrauten Ministerialrat im Reichsinnenministerium Hans Globke scheint es aus
der Sicht der heutigen Forschung als wahrscheinlich, dass die Veröffentlichung
des „Gesetzes zur Zwangsscheidung rassischer Mischehen“ verhindert werden
konnte - begüstigt von Differenzen innerhalb der Regimführung zu dieser Frage.
In
Freiburg war es Frau Dr. Gertrud Luckner, die unter Einsatz ihres Lebens vielen
Juden zur legalen oder illegalen Ausreise verhalf.
3. Kein Bischofswort zugunsten der Juden und der Papst als letzte
Hoffnung
Reichsweites
Eintreten für alle Verfolgten erhoffte Bischof Preysing vom Vorsitzenden der
deutschen Bischofskonferenz. Viele Berichte über das Schicksal der Juden wurden
im osteuropäischen Lager bekannt und Preysing schickte wiederholt Abgesandte
nach Breslau, um interne Berichte dem Konferenzvorsitzenden bekannt zu machen.
Trotz massivem Drängen von Seiten der Bischöfe lehnte Bertram einen öffentlichen
Protest ab und bat ihn künftig in dieser Sache nicht mehr zu belästigen.
Aus
Deutschland ist kein offizielles Bischofswort zum Schicksal der Juden ergangen.
Da richtete Preysing einen schon verzweifelten Apell an den Papst, den er seit
der Zeit, da dieser als Nuntius in München und Berlin gelebt hatte, auch persönlich
gut kannte. Er schrieb Papst Pius XII. am 6. März 1943, dass er sich zu den
Ungerechtigkeiten und den Leiden der Juden äußern solle.[13]
Dieser Bitte hat der Papst jedoch nicht entsprochen.
Papst
Pius XII. machte es sich nicht leicht mit der Entscheidung und fragte sich oft
selbst, in welcher Weise ein Papst kraft seines Amtes verpflichtet ist, gegen
die Verletzung elementarer Menschenrechte Protest einzulegen. Dem Erzbischof von
Köln Kardinal Frings teilte er am 3. März 1944 in einem Schreiben mit, dass es
oft „schmerzlich schwer ist, zu entscheiden, ob Zurückhaltung und
vorsichtiges Schweigen oder offenes Reden und starkes Handeln geboten sind“.[14]
Die Alternative lautete für ihn nicht einfach „Reden“ oder „Schweigen“,
sondern: wie deutlich darf und muß der weltweite Protest sein, wenn man
realistische Folgen einkalkuliert? Der Papst entschied sich nun angesichts der
Lage und der Gefahr einer völligen Zerstörung der Kirche in Deutschland zu
schweigen, „um größeres Unheil zu vermeiden“.[15]
Der Beweis für die Richtigkeit der Entscheidung des Deutschlandkenners konnte
naturgemäß nicht erbracht werden.
Umgekehrt
hätte ein öffentlicher Protest auch die letzte Möglichkeit verstellt, jüdischen
Bürgern aus halb Europa zur Emigration zu verhelfen. Das dies geschah beweisen
die vielen Dankesschreiben, die aus allen möglichen Ländern der Welt schon ab
1942 dem Papst zugingen. Der bekannte jüdische Theologe und Schriftsteller
Pinchas E. Lapide beziffert die Zahl der Juden, die von der katholischen Kirche
unter dem Pontifikat Pius´ XII. gerettet wurden sind, mit „mindestens 700
000, wahrscheinlich sogar 860 000“.[16]
Die Verfolgtenhilfe der römischen Kirche hat auch mit dem Ende des Krieges
nicht aufgehört.
V. Die „Endlösung der Kirchenfrage“
Welche
Rolle die Nationalsozialisten der katholischen Kirche nach dem „Endsieg“ der
deutschen Truppen zugedacht hatten, läßt sich aus der Entwicklung in den
Provinzen Danzig-Westpreußen und Polen ablesen. In diesem „rechtsfreien
Raum“ wird die Gesamtkonzeption der nationalsozialistischen Religionspolitik
deutlich, wie sie der Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann in einem
Rundschreiben an alle Gauleiter am 9. Juni 1941 umrissen hat:
„Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar“.
Deswegen sei die radikale Ausschaltung der Kirche aus dem öffentlichen Leben
mit dem Ziel endgültiger Entchristlichung des Staats- und Volkslebens zu
erzwingen.
Die
Kirche wurde in den genannten Provinzen auf den Status eines privaten Vereins
herabgedrückt, dessen Mitglied man erst als Erwachsener und nur durch
schriftliche Beitrittserklärung, werden konnte. Schulischer Religionsunterricht
wurde abgeschafft, alle Stifte und Klöster aufgehoben, kirchliche Vereine
verboten, die Wohlfahrtspflege verstaatlicht, kirchliches Eigentum an Häusern,
Liegenschaften und Friedhöfen konfisziert. Priester durften nicht mehr
hauptamtlich tätig sein und mußten tagsüber einem Erwerb nachgehen.
Staatliche Zuschüsse für kirchliche Stellen wurden restlos gestrichen.
Irgendwelche Bindung an religiöse Gruppen und mit dem Vatikan wurde
unterbunden. Die kirchliche Presse wurde mit dem „Sonntagsblatt“, einer
Propagandazeitung der Führung ersetzt.
In
den letzten beiden Kriegsjahren kam die Neuordnung jedoch ins Stocken. Die militärische
Lage und die mutige Verweigerung vieler Gläubiger erzwang einen Aufschub. Der
nationalsozialistische „Mustergau“ blieb auf halbem Wege stecken.
„Wir
werden selber Kirche“, so hatte kein geringerer als Joseph Goebbels lauthals
und siegessicher hinausposaunt. Dieses letzte Ziel blieb den braunen Machthabern
versagt. Zwar vermochte eine psychologisch perfide gelenkte Regie - wie schon
bei den Reichsparteitagen vor dem Krieg, so auch in verblendetem Siegestaumel
nach dem Polen- und Frankreichfeldzug - eine Massenbegeisterung der Deutschen für
Hitler und seine Partei auszulösen; eine Massenbegeisterung für die
nationalsozialistische Weltanschauung ist daraus aber nicht erwachsen. Noch längere
Prüfung ersparte den Deutschen der Sieg der Aliierten.
VI. Beurteilung des Widerstandes der katholischen
Kirche im Zweiten Weltkrieg
Die
Katholische Kirche versuchte, soweit wie es nur möglich war, die Schrecken im
Naziregime zu lindern und zu bekämpfen. Sie leistete Widerstand wo es nur ging,
aber nur in dem Ausmaß, wie es vertretbar war. Völlige Konfrontation hätte
vielleicht noch größeres Unheil über die Gläubigen und die Bevölkerung
gebracht. Es mußte daher immer abgewägt werden, wieweit man sich aus dem
Fenster lehnen konnte. Freilich muß auch eingeräumt werden, dass nicht alle
kirchlichen Würdenträger dieser Zeit soviel Mut und Kämpfergeist hatten, wie
etwa Bischof Konrad Graf von Preysing. Man kann und darf aber deswegen Leute wie
Fürsterzbischof Kardinal Adolph Bertram nicht verurteilen. Im Rückblick ist es
immer leichter mögliche Lösungen zu finden, die man verfolgen hätte sollen,
doch darf nicht übersehen werden, dass in so schwierigen und auswegslosen
Situationen, wie sie die Kirche im Dritten Reich vorfand, Resignation und
Hilflosigkeit schnell an den Tag kommen.
Wichtig
ist zu sehen, dass die Kirche Widerstand geleistet und so auf das Unrecht
aufmerksam gemacht hat. Ob nun noch mehr getan werden hätte können, ist immer
schwer zu sagen, da uns die Folgen des offenen Widerstandes nicht bekannt sind.
Es ist erfreulich festzuhalten, dass die Kirche nicht blindlinks, sondern mit
Bedacht und Abwägung der Konsequenzen gehandelt hat. Das wichtigste ist in
diesem Zusammenhang, dass durch die Haltung der katholischen Kirche
Menschenleben gerettet werden konnten. Und ginge man danach, ob es zu wenig
gerettete Menschen waren, muß gesagt sein, dass wenn auch alle bis auf einen
Menschen gerettet worden wären, es immer noch zu wenige gewesen sind, da ja ein
Mensch ungerecht gestorben ist.
Literaturverzeichnis:
Walter
Adolph, Die Katholische Kirche im Deutschland Adolf Hitlers, Berlin
1974.
Walter
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Kirchenkampf 1935-1943, in: Ulrich von Hehl (Hg.), Mainz 31982.
Friedrich
Karl Kaul, Die Psychatrie im Strudel
der „Euthanasie“, Frankfurt/Main 1979.
Pinchas
E. Lapide, Pius XII. und die Juden,
in: Herbert Schambeck (Hg.), Pius XII. Friede durch Gerechtigkeit, Kevelaer
1986, 162-184.
Ernst
T. Mader, Das erzwungene Sterben von
Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee zwischen 1940 und 1945
nach Dokumenten und Berichten von Augenzeugen, Blöcktach 1982.
Burkhart
Schneider, in Zusammenarbeit mit
Blet, Pierre und Martini, Angelo (Hg.), Die Briefe Pius´ XII. an die deutschen
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Ludwig
Volk (Hg.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche
1933-1945, Bd. 4: 1936-1939, Mainz 1980, Bd. 5: 1940-1942, Mainz 1983.
Ludwig
Volk (Hg.), Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. 2:
1935-1945, Mainz 1975 und 1978.
Ludwig
Volk (Hg.), Episkopat und Kirchenkampf im Zweiten Weltkrieg, Bd. 2:
Judenverfolgung und Zusammenbruch des NS-Staates, in: StZ 198 (1980) 687-702;
wieder abgedruckt in: Katholische Kirche und Nationalsozialismus, ausgewählte
Aufsätze von Ludwig Volk, hg. von Dieter Albrecht, Mainz 1987, 98-113.
[1]Volk, Episkopat und Kirchenkampf im Zweiten Weltkrieg, 606.
[2]Adolph, Geheime Aufzeichnungen aus dem nationalsozialistischen Kirchenkampfes 192f.
[3]Ebd. 219.
[4]Volk, Adolph Kardinal Bertram, 284.
[5]Volk, Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche, Bd. 5, 47.
[6]Ebd. 87-90.
[7]Ebd. 110f.
[8]Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers, 690.
[9]Mader.
[10]Kaul 169-173.
[11]Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers, 824.
[12]Ebd. 845.
[13]Schneider 239.
[14]Ebd. 280.
[15]Ebd. 240.
[16]Lapide 165.