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Universität Passau

Katholisch-Theologische Fakultät

 

 

Lehrstuhl für Alttestamentliche Exegese und Hebräische Sprache

Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dipl.-Theol. Claudia Sticher

 

 

 

Sommersemester 1998

 

 

 

Proseminar

 

 

 

Einführung in die Methoden alttestamentlicher Exegese

 

 

 

Der Turmbau zu Babel (Genesis 11, 1-9)

 

 

 

 

vorgelegt von:

Oliver Dicklhuber

Domplatz 5

94032 Passau

Kath. Theologie, Diplomstudiengang, 1. Semester

 

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.   Abgrenzung von Genesis 11,1 - 9...................................................................................1

2.    Literarkritik.................................................................................................................1-2 

3.    Einordnung in den Kontext..........................................................................................2-3

4.    Formenbestimmung.....................................................................................................3-4

5.    Klärung semantischer Probleme...................................................................................4-5

6.    Motivgeschichtliche Fragen............................................................................................5

7.    Redaktionsgeschichte.....................................................................................................5

8.    Kontext..........................................................................................................................6

9.    Profil und Sinn des Textabschnitts..................................................................................6

10. Textpragmatik............................................................................................................7-8

Aktualisierung..........................................................................................................9

 

 

1. Abgrenzung von Gen. 11,1 - 9

 

In Genesis 10, im folgenden Text jeweils mit Gen. abgekürzt, wird eine Genealogie beendet. Gen.11,1 - 9 nimmt daher eine Sonderstellung in der Genesis ein. Sie scheint nicht in den Rahmen zu passen. Auch ist ihre Stellung zu den folgenden Kapiteln, nicht ohne Widersprüche gesehen worden. Denn mit Gen. 11,10 und den folgenden Kapiteln beginnt die Erzählung der Geschichte der „Urväter“.

Was es mit Gen. 11,1 - 9 auf sich hat, soll nun im folgenden Untersucht werden.

 

2. Literarkritik

 

In literarkritischer Hinsicht, gilt es den Text auf „Uneinheitlichkeit“ hin zu untersuchen, also ob ein Text uneinheitlich oder einheitlich ist.

Einheitlich ist ein Text, wenn keine störenden Wiederholungen in ihn zu verzeichnen sind.

Diese „Doppelungen“, so der Fachbegriff können zwei oder mehrfach genannte Elemente des Textes sein. Elemente eines Textes können Wendungen, ganze Sätze oder auch ein Text sein.

Weiter sind so genannte Widersprüche zu erkennen, d.h. ob das behandelte Thema unter verschiedenen Voraussetzungen behandelt wird.

Ist dies in einem geringeren Ausmaß vorhanden, so spricht man von „Spannungen“.

Hat man so den vorliegenden Text, auf  die genannten Punkte hin untersucht, kann man ihn „klassifizieren“.

 

Bei Gen. 11,5 und Gen.11,7 wird zweimal von einem Abstieg des Herrn auf die Erde berichtet. Dies kann meines Erachtens als „Doppelung“ angesehen werden, denn in         Gen. 11,5 wird berichtet: “Da stieg der Herr herab...“ . Und in Gen. 11,7 ist von folgendem die Rede: „Auf steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache...“.

Es wird zweimal von einem Abstieg berichtet[1].

Ferner kann man eine „Doppelung“ in Gen. 11,3 zu Gen 11,4 und Gen.11,7 erkennen.

In Gen.11,3 heißt es: „Auf, formen wir Lehmziegel...“, bei Gen. 11,4 wiederum: “Auf, bauen wir uns eine Stadt...“, in Gen. 11,7 ist folgendes geschrieben: „Auf, steigen wir hinab, und verwirren dort ihre Sprache...“.

Es wird  dreimal die selbe Wendung sichtbar. Es sind also „Doppelungen“ in Gen. 11,1 - 9 vorhanden.

 

In einem widersprüchlichen Verhalten steht Gen. 11,7 zu Gen. 11,8. In Gen. 11,7 wird Gottes Wille zur Verwirrung der Sprache erklärt, bei Gen. 11,8 dagegen zerstreut er sie über die ganze Erde.

Natürlich läßt sich einwenden, daß zur Einheit eines Volkes, siehe auch Gen. 11,6, die Einheit der gemeinsamen Sprache gehört. Aber was hat die Einheit der Sprache, bzw. die dann bekanntlich eingetretene „Uneinheitlichkeit“, mit der Zerstreuung des Volkes zu tun?

Hier handelt es sich anscheinend um eine Komposition zweier unterschiedlicher Erzählungen zu einer. Obwohl dieser Argumentation von verschiedener Seite Einwende entgegen gebracht werden[2].

 

Sind nun die Kriterien der „Uneinheitlichkeit“ untersucht, so kann man den Text nun „klassifizieren“.

Ob es sich nun um eine „einfache Einheit, Fragment, Erweiterung, erweiterte Einheit / erweitertes Fragment oder um eine zusammengesetzte Einheit“ handelt.

Hier dürfte es sich um eine zusammengesetzte Einheit handeln, bei der zwei ursprünglich selbständige Stücke miteinander verbunden wurden.

Natürlich hat eine solche literarkritische Betrachtung des Textes ihre Grenzen, vor allem weil immer beachtet werden muß, daß es sich um die schriftliche Fixierung einer mündlichen Erzählung handelt, die einen schriftlichen „Urtext“ ausschließt[3].

 

 

3. Einordnung in den Kontext

 

Die Struktur von Gen. 11,1 - 9 zeigt folgenden Aufbau.

Die Erzählung beginnt mit einer Feststellung, daß alle Menschen eine Sprache hatten. Diesen Umstand folgt der Bericht über eine Besiedlung der Gegend von Schinar (Verse 1 - 2).

Damit ist ein Prolog geschaffen, dem folgt nun die eigentliche Erzählung.

In den Versen 3 und 4 liegt die Handlung der Erzählung bei den Menschen, sie fordern sich auf , einen Turm und eine Stadt zu bauen, die jeweils aus Backsteinen bestehen sollen.

Die Wortwahl ist jeweils Parallel zueinander, auch so die Handlungsabläufe.

Zweck dieses Vorhabens ist sich einen Namen zu schaffen und damit ist die Hoffnung verbunden, nicht zerstreut zu werden.

Ab Vers 5 greift dann Gott ein. Zuerst als Beobachter, so in Gen. 11,5. Dann folgt eine Feststellung über die herrschenden Zustände, was die Sprache angeht. Also eine Wiederholung der in Vers 1 bezeugten Tatsachen. Gott stellt ferner fest, daß ab diesen Zeitpunkt an, dem Menschen alles möglich sein werde.

 

Nun folgt in Vers 7 eine Wende der Erzählung, es wird von Gottes Entschluß berichtet, auf die Erde herab zu steigen und die Sprache der Menschen zu verwirren. Interessant ist dabei zu beobachten, daß die Darstellung des Entschlusses  der Menschen in Vers 3 - 4 gleich ist mit der Gottes.

In Vers 8 wird von der Zerstreuung der Menschen durch Gott berichtet, gerade das, wollten sie ja durch den Turmbau und den Bau der Stadt verhindern.

Vers 9 ist ähnlich wie Vers 1 und 2 eine lapidare Feststellung der Folgen des menschlichen Handelns und des eingreifen Gottes. Es wird nun aufgezeigt, daß es von nun an ein Wirrsal an Sprachen, und unzählige Menschen verteilt, über die ganze Erde, gibt.

Auch erscheint in diesem Vers zum ersten und einzigen Mal das Wort Babel in der Erzählung.

 

Es ist schon auffällig wie sich die Verse 1, 2 und 9 gleichen, so daß angenommen werden kann, es handelt sich um einen Teil einer eigenen Erzählung. Und vor allem ist doch ein Unterschied zu den übrigen Versen  zu erkennen, die nicht zu übersehen ist.

 

 

4. Formenbestimmung

 

Aus der vorhergehenden Strukturbeobachtung, ergibt sich für Gen 11,1 - 9 das vorher aufgezeigte Schema.

Um nun von einer Gattung sprechen zu können, müßte dieses Schema auch anderswo  auftauchen.

Dies ist nicht der Fall, also ist Gen 11,1 - 9 keiner bestimmten Gattung zu zuordnen.

Natürlich muß einschränkend werden, daß vom Inhalt her, daß vom Inhalt her es um eine Verfehlung des Menschen und die darauffolgende Reaktion Gottes. Es gibt natürlich mannigfaltige Verfehlungen des Menschen und eine entsprechende Reaktion Gottes, in der Bibel. Die Bibel lebt ja fast von diesem Thema. Angefangen bei Adam und Eva.

Nur scheint Gen. 11,1 - 9 isoliert dazu stehen.

 

 

5. Klärung semantischer Probleme

 

Zur Durchführung der textsemantischen Analyse benötigt man ein sogenanntes „semantisches Inventar“.

Um einen Text hinsichtlich seiner Sinnbedeutung zu entschlüsseln, also um Sinnzusammenhänge zu erkennen, ist es nötig jene Ausdrücke hervorzuheben, die häufig im Text vorkommen. So mit kann ein Schwerpunkt im Text sichtbar aufgezeigt werden.

Um nicht dem Gesetz der Masse zu verfallen, d. h. nur die Quantität zu bewerten, gilt auch, daß ein einzelnes Wort den Sinn des Textes ausdrücken kann.

Auch können rhetorische Besonderheiten wie Parallelismen, Sperrungen usw. einen Sinnzusammenhang andeuten.

Dann sind die Oppositionen zu nennen, d. h. jene Begriffe die den vorher genannten entgegenstehen. Letztlich kann man  Gen. 11,1 - 9 folgende Begriffe angeben, die einen Schwerpunkt bilden, es sind dies die Verben des „Tuns“. Wie z. B. bauen, steigen, zerstreuen und verwirren. Daraus kann man ersehen, daß ein Tätigsein im Text, den großen Rahmen der Erzählung bildet.

Es fällt auch die Parallelität der Verse 3 und 4 und des Verses 7 ins Auge, man stellt dem Handeln der Menschen, das Handeln Gottes gegenüber.

Tritt Gott in Erscheinung, so sind Verben zu beobachten, die denen der Verben, bei denen die Menschen eine Tätigkeit ausüben, entgegenstehen. So verwirren aber auch zerstreuen.

Damit kristallisiert sich eine Tendenz zum Schema Actio = Reactio heraus. Die sich exemplarisch in den aufgezeigten Verben zeigt.

Bei der Motivsemantischen Analyse muß man die Bedeutung des Wortes als abhängig vom Kontext beachten. Was richtig ist, muß als vom Sinn des Textganzen abhängig betrachtet werden. Der sogenannte „hermeneutische Zirkel“ ist hier von Bedeutung.

Nach dieser rein formalen Analyse, soll nun die Erzählung in den Mittelpunkt gestellt werden.

Diese narrative Analyse will die Eigenart und Funktion der Erzählung beleuchten.

Dabei ist eine Funktionsanalyse eng mit der Textpragmatik verknüpft. Daher wird erst später darauf eingegangen werden.

Im folgenden soll das „Aktantenmodell“ von Greimas Anwendung finden.

Es sind zwei Gruppen auszumachen, die agieren. Erstens nicht näher bestimmte Menschen, die etwas bauen wollen. Zweitens Gott, der anscheinend etwas dagegen hat.

Dabei suchen sich die Menschen einen „Namen“ machen zu wollen, um nicht über die ganze Erde verstreut zu werden (Gen. 11,4).

Gott mißfällt dies und verwirrt sie. Er will sie also daran hindern, sich einen Namen zu machen und nicht verstreut zu werden.

Dabei verhält sich Gott also entgegengesetzt zum Verhalten der Menschen.

Dies wird auch daran deutlich, daß in Gen. 11,4 die Menschen zum Himmel hinauf, Gott aber auf die Erde hinabsteigt (Gen. 11, 5 bzw. Gen. 11,7).

Ferner darin, die Menschen wollen nicht verstreut werden, demgegenüber verstreut Gott sie über die ganze Erde.

 

 

6. Motivgeschichtliche Fragen

 

Das Motiv, ein sprachlich geprägtes Element, auf keinen bestimmten Personenkreis gebunden, in mindestens zwei von einander unabhängigen Texten auffindbar.

Das hier aufgezeigte Motiv ist in der Bibel einmalig. Nur in vedischen bzw. afrikanischen Erzählungen, wird auf einen Turmbau hingewiesen[4].

Wobei die vedische Turmerzählung als die ältere angesehen wird.

 

 

7. Redaktionsgeschichte

 

Sind in Gen. 11,1 - 9 ältere Texte miteinander kombiniert worden?

Verschiedene Wissenschaftler sehen in der Turmbaugeschichte diverse Autoren[5].

Insbesondere H. Gunkel sieht in ihr eine Sammlung von Sagen, die „in mündlicher Tradition jede für sich bestanden haben“[6]. Fast könnte man sagen, natürlich, hat dazu ein jeder eine andere Meinung.

 

 

8. Kontext

 

Nun ist die Bedeutung der Perikope im Buchganzen zu klären.

Die Turmbaugeschichte nimmt eine Sonderstellung im Kontext ein. Während Gen. 10 mit einer Genealogie abschließt, ist in Gen. 11,1 - 9 eine Geschichte erzählt, die nicht in den Kontext zu passen scheint. Sie scheint den vorangegangenen Kapiteln nach geschoben zu sein. Wellhausen sieht sie in Zusammenhang, auch in thematischer Sicht mit Gen. 2 - 4[7]. Diese Argumentation hat etwas für sich, denn man könnte die Erzählung des Turmbaus zu Babel, auch als einen Sündenfall sehen.

 

 

9. Profil und Sinn des Textabschnitts

 

Es gibt zwei Annahmen über die Bedeutung von Gen. 11,1 - 9 man spricht einerseits von einer ätiologischen, also einer Erzählung für den Grund, der Sprachverwirrung, d. h. für die  Verschiedenheit der Sprache in der Vielzahl der Völker. Andererseits ist sie ein Erklärungsversuch für die Ausbreitung der Völker über den ganzen Erdkreis. Während die vorhergehenden Kapitel der Genesis eine genealogische Begründung für die Ausbreitung geben.

Es soll eine Antwort für den sichtbaren Zustand der Welt, aus der Sicht eines gläubigen Israeliten geboten werden.

Ein erneuter Sündenfall ist dafür verantwortlich. Nur ist die Frage, was letztenendes die Reaktion Gottes auslöste. War es der Wunsch wie Gott zu werden? Oder die Vermessenheit mit Hilfe der Technik ihm nahe zukommen?

 

 

 

 

 

 

 

 

10. Textpragmatik

 

Zu was soll der Leser angeregt werden, dies zu erörtern ist Aufgabe der Textpragmatik.

Es ist also zu fragen, welche vom Autor beabsichtigte Leserlenkung denn hier vorliegt. Um welchen Kommunikationsprozeß handelt es sich. Sind soziale und sprachliche Normen zu erkennen, die vorausgesetzt werden, damit der Text für den Leser Anregungen von Verhaltensmustern bietet.

In Gen.11,1 - 9 ist zu erkennen, daß die Kommunikation nur innerhalb der Gruppen stattzufinden scheint. Sofern man bei Gott von einer Gruppe sprechen kann.

So in Gen. 11,3: „Sie sagten zueinander...“. Auch Gott kommuniziert nur mit sich selbst.

In Gen. 11,7: „Auf, steigen wir hinab und verwirren dort ihre Sprache, so daß keiner mehr die Sprache des anderen versteht“.

Es findet kein Kommunikationsprozeß zwischen Gott und den Menschen statt. Auch wird keine Möglichkeit zur Umkehr der Menschen gegeben, alles scheint nur auf eine Möglichkeit hin auszulaufen.

Zur Norm sprachlichen Verhaltens bei den Menschen, ist zu erkennen, man redet miteinander, fordert sich auf, eine Leistung zu vollbringen.

Diese zu vollbringende Leistung ist eine sozial vorausgesetzte Norm, keiner ist dagegen, alle wollen, so läßt es der Text erscheinen, das vorgegebene Ziel, den Turm bis zum Himmel zu bauen, erfüllen.

Gott redet mit sich selbst, eine Norm hier erkennen zu wollen, scheint übertrieben.

Auch wenn im Text angegeben ist, er wolle die Sprache verwirren, so ist das doch nur ein Versuch, das Unsagbare in Worte zu faßen.

Der Autor sieht es als sozial gerechtfertigte Norm an, daß Gott einen Frevel des Menschen ahndet. So sieht es aus, als ob der Versuch, so wie Gott zu werden, als eines der größten Übel anzusehen sei, die der Mensch begehen kann.

Also dieser Frevel wird bestraft, indem die Kommunikation zwischen den Menschen unterbrochen wird.

Dies wird dem Leser als Norm für soziales Verhalten dargeboten.

Zur Leserlenkung sei Anzumerken, daß der Autor die Taten der Menschen ohne Sympathie bzw. Antipathie darstellt. Die Tätigkeiten werden beschrieben, ohne eine direkte Wertung vorzunehmen.

Aber indem er dies schreibt, wie gerade das Ziel des Turmbaus, nicht über die ganzen Erdkreis zerstreut zu werden, letztlich doch scheitert, sieht er darin die Absurdität dieses menschlichen Handelns.

Bei der Darstellung Gottes in diesem Prozeß scheint leichte Ironie mit zuschwingen. Indem Gott erst feststellt, daß sie nur ein Volk seien und alle eine Sprache hätten und dann sich selbst auffordert, die Sprache der Menschen zu verwirren.

Dem Leser soll somit vermittelt werden, Gott ist Gott und er entscheidet, ob etwas gelingt oder nicht. Auch scheint der Autor dem Ergebnis der Sprachverwirrung und anschließender Zerstreuung der Menschen über den ganzen Erdkreis, staunend gegenüber, so daß er die Tat Gottes ironisch beleuchtet.

Zur Bewertung der Leserlenkung  gehören auch die Sprechakte.

Bei der Betrachtung von Gen. 11,1 - 9 ist eine dreimalige Aufforderung zu erkennen. Die jedesmal mit Auf,...  eingeleitet wird. So in Gen. 11,3: „Auf, formen wir Lehmziegel...“. Oder in Gen. 11,4: „Auf, bauen wir uns eine Stadt...“. Aber auch in Gen. 11,7: „Auf, steigen wir hinab...“. Die ersten beiden Mal sprechen Menschen die Aufforderung aus, während in der letzten Aufforderung Gott seinen Willen bekundet.

Um ein Gelingen der Aufforderung der Menschen zu gewährleisten, ist eine Übereinstimmung zwischen den Willen des Gebietenden und der potientiellen  Ausführenden unabläßlich.

Dem gegenüber ist der Wille Gottes bedingungslos, d. h. ohne das irgendwelche Voraussetzungen erfüllt sein müßten.

Beide Willensäußerungen, die der Menschen und die Gottes sind in die Tat umgesetzt worden, daher ist ihnen Glaubwürdigkeit zu zusprechen.

Dabei gilt einschränkend, daß es sich um eine „Erzählung“ mythischer Natur handelt und es um eine theologische Aussage geht, die einen real- geschichtlichen Hintergrund nicht notwendig verlangt.

Über weitere Spekulationen, z. B. bezüglich der Glaubwürdigkeit des Autors oder der Autoritätsproblematik, gilt es sich zu enthalten.

Hier sollte wie bei jeden Text, der schon über unzählige Generationen tradiert ist, das „Principle of charity“ (Donald Davidson) Anwendung finden[8].

Der Text ist so zu verstehen, wie wir ihn jetzt lesen, mag auch in der Entstehungszeit des Textes vielleicht einiges anders gesehen und normativ bewertet worden sein.

 

 

11. Aktualisierung

 

In wiefern spricht der Text musterhaft und immer noch gültig von Gott?

Die Menschen versuchen in Gen. 11,1 - 9 durch den Einsatz von Technik so wie Gott zu werden. Dieser nochmalige Sündenfall, nach der Vertreibung aus dem Paradies, dem ersten Mord, hat zur Folge, daß Gott sich veranlaßt sieht, dem Einhalt zu gebieten.

Durch die sprichwörtliche babylonische Sprachverwirrung, ist zumindest eine zeitlang dafür gesorgt, daß die Menschen ihm nicht zu nahe kommen werden, sofern es aus mehr oder minder unlauterer Absicht geschieht.

Es ist zugleich die Erklärung, wieso die Menschen in alle Welt verstreut worden sind und woher die Sprachvielfalt kommt. Wo doch die Menschen von Adam und Eva abstammen und demnach eine gleiche Sprache zu erwarten sei. Dies ist ein Versuch für den gläubigen Menschen der damaligen Zeit, diese Fakten eingehend und einleuchtend zu erklären.

Daher ist auch in dem Text vermutlich keine Chance Gottes an die Menschen gegeben worden, ihr Fehlverhalten zu korrigieren.

Auch ist zu sehen, gerade weil die Menschen verhindern wollten, daß sie zerstreut werden, vgl. Gen. 11,4, werden sie letztendlich doch zerstreut. Selbstüberschätzung und Anmaßung führen nicht zum Ziel.

Weiter kann man erkennen, jede Verfehlung der Menschen wird von Gott mit Konsequenzen bedacht. Mag auch die Absicht der Menschen nicht so sehr sündhaft gewesen sein, denn worin mag in der konkreten Absicht einen Turm zu bauen eine Sünde sein, so ist doch die weitere Konsequenz erkennbar, daß alles machbar und erreichbar erscheint.

Dem gebietet Gott einhalt.

Und heute?

Manch einer sieht in den Technologieprojekten der heutigen Zeit, mag es Gentechnik, Atomwissenschaft oder Raumfahrt sein, auch eine Anmaßung des menschlichen Geistes, die schließlich eine Herausforderung Gottes darstellt. Diese wird unter Umständen nicht ungesühnt bleiben.

Demgegenüber meine ich, kann ich mir Gott nicht so kleinkariert vorstellen, der Leistungen des menschlichen Geistes von vorn herein als Bedrohung oder Sünde ansieht.

Der Geist, welcher diese Leistungen vollbringt ist ja mithin eine Schöpfung Gottes.

 

Musterhaft mag auch heute noch Geltung haben, die Selbstüberschätzung der Menschen, alles allein und ohne Rücksicht auf den Willen Gottes, eine Wissenschaft betreiben zu wollen, die Erkenntnis über die Natur als zweckheiligendes Mittel anzusehen. Aber diese Selbstüberschätzung hängt ja nicht von der Technik ab, sondern von der Einstellung der betreffenden Personen. Auch wenn es die heutige Technik nicht gäbe, würden diese ihr Betätigungsfeld finden.

Hochmut, Selbstüberschätzung sind fehlerhaftes Verhalten, nicht aber bloße Technik.

Natürlich muß einschränkend erwähnt werden, daß der menschliche Geist frei ist, zu tun und zu lassen, was er will, auch sind technische Errungenschaften nicht ohne jegliche  Einschränkungen verwendbar. Diese Einschränkungen mögen ethischer, wirtschaftlicher oder auch umweltpolitischer Natur sein, doch eine theologische Kausalverbindung zu moderner Technik und Sünde herstellen zu wollen, ist meines Erachtens nicht gegeben.

Oder vielleicht ist nicht doch jede geistige, aber auch manuelle Tätigkeit theologischer Natur?

 



[1] C. Westermann, S. 99

[2] C. Westermann, S. 100

[3] C. Westermann, S. 101

[4] C. Westermann, S. 102

[5] C. Westermann, S. 96

[6] C. Westermann, S. 96

[7] C. Westermann, S. 96

[8] F. Ricken,          S. 209