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Z u s a m m e n f a s s u n g

der Vorlesung:

 

ETHIK: Tugenden, Werte, Normen

 

 

Kap. 1: Gibt es unbedingt gültige Normen (ein autonomes Sollen) oder lassen sich

              alle Handlungsvorschriften auf das faktische Verhalten der Menschen

              zurückführen?

      

 

A. Als eine praktische Wissenschaft kann die Ethik im traditionellen aristotelischen Verständnis sich nicht darin erschöpfen, als eine Handlungstheorie das menschliche Handeln in seiner Eigenart zu verstehen. Das oberste Ziel der Praxis ist vielmehr ein der Einsicht entsprechendes Handeln. Im Unterschied zur Theorie ist in der Ethik das Verstehen allgemeiner Gesetzmäßigkeiten folglich nicht Selbstzweck, sondern soll zu einem richtigen Handeln disponieren, das den Menschen unausweichlich mit der aus Einzelnen bestehenden Wirklichkeit konfrontiert. Daher fordert Aristoteles Lebenserfahrung. Ohne sie könnte es zu schreiendem Unrecht kommen, wenn man einen Einzelfall geradewegs unter ein allgemein betrachtet gerechtes Gesetz subsumiert. Ferner ergibt sich: Während die Theorie mit dem befaßt ist, was bereits der Fall ist (Sein), richtet die Ethik als praktische Wissenschaft sich auf das, was erst noch geschehen soll (Sollen). Dies wirft die Frage auf: Lassen sich die Sollensaussagen auf Seinsaussagen zurückführen oder bilden die sittlichen Vorschriften einen ursprünglichen, nur in sich selbst begründeten Bereich, der sich nicht aus außersittlichen Tatsachen ableiten läßt?

 

B. Die eine mögliche Extremposition angesichts dieser Fragestellung wird repräsentiert durch Kant, der annimmt: Der Kategorische Imperativ, der unbedingt, d.h. unabhängig von allen außersittlichen Tatsachen gilt, vermag auch die sittliche Entscheidung im Einzelfall ausreichend zu bestimmen, indem man prüft, ob die zugrundegelegte Handlungsmaxime die vom Sittengesetz geforderte Form hat, verallgemeinerbar zu sein. Die reine praktische Vernunft ist völlig selbstgenügsam (autark), nicht nur indem sie sich selbst das Sittengesetz gibt, sondern auch in den einzelnen Entscheidungen ihm gemäß. Jede außersittliche Motivation (Streben nach Nutzen oder Glückseligkeit, Gefühle wie Mitleid) nehmen der Handlung ihren genuin sittlichen Charakter. - Die andere Extremposition ist die utilitaristische Reduktion der sittlichen Vorschriften auf das tatsächliche Verhalten der Menschen, d.h. ihr faktisches Streben nach Nutzen, sei es, daß sie durch biologische Gesetze (der Evolution), sei es, daß sie eher durch gesellschaftliche Verhältnisse zu diesem Verhalten determiniert sind. Sittliche Gebote wären dann hypothetische Imperative, die uns sagen, was zu tun sei, vorausgesetzt wir streben diesen Nutzen als Ziel an. So versucht die evolutionäre Ethik alle menschlichen Verhaltensgrundsätze daraus abzuleiten, daß der Mensch nach Vorteilen im Überlebenskampf sucht; Altruismus sichere auf Dauer und insgesamt eher das Überleben als kurzatmiges Trachten nach unmittelbaren egoistischen Vorteilen. - Eine mittlere Position ist möglich, wenn man zwar annimmt, es gebe unbedingt oder aus sich heraus gültige Normen, die sich nicht aus außersittlichen Fakten erklären lassen. Aus diesen Normen aber ließen sich nicht unmittelbar die für die Einzelhandlungen maßgeblichen Handlungsgrundsätze ableiten. In diese könnten unbeschadet des sittlichen Charakters auch außersittliche Faktoren, u.U. auch Nutzenserwägungen eingehen.

 

C. Eine derartige Zwischenposition ist dann vertreten worden, wenn man (wie es vor allem in Antike und Mittelalter geschah) die Tugend in den Mittelpunkt ethischer Betrachtungen gestellt hat. Daraus, daß der entsprechende griechische Begriff einer !MªO¿ die spezifische Tüchtigkeit bezeichnet, die dazu befähigt, das jeweils eigentümliche Werk gut zu verrichten, ergibt sich: Auch wenn der in der Tugend implizierte normative Anspruch universell gültig sein muß (weil er sonst keine Norm sein könnte), braucht eine Tugend doch nicht universell realisierbar zu sein, weil die dieser Tugend zugeordnete Verrichtung bestimmte Verhältnisse voraussetzen kann. Wenn daher in einer Beschreibung von Einzeltugenden, wie Aristoteles sie liefert, auch zahlreiche historische Bedingungen der damaligen Lebenswelt einfließen, folgt daraus noch nicht, daß er keine Normen aufstellt, sondern eine Soziologie des damals sozial anerkannten oder gewünschten Verhaltens liefert. Auch wenn er der sprachlichen Form nach ein Verhalten beschreibt, und nicht explizit Gebote formuliert, schließt dies nicht aus, daß er implizit Normen aufstellt. Welch einen Sprechakt man vollzieht, d.h., ob man bloß über etwas informiert oder zu etwas auffordert, hängt nicht nur von der sprachlichen Gestalt, sondern auch von der Intention ab, in der man den betreffenden Satz gebraucht. So kann man, indem man ein tugendhaftes Verhalten schildert, zugleich beabsichtigen, es dem Hörer als vorbildhaft zu präsentieren, ihn also zu einer solchen Handlung aufzufordern. Schon der sprachliche Befund zeigt, daß der konkrete Brauch (mos) oder die Sitte, die relativ auf die bestimmte Lebensform verbindlich ist, ursprünglich ist und daß die Moral oder Sittlichkeit, denen eine allgemeinmenschliche Verbindlichkeit zugeschrieben wird, erst nachträgliche Abstraktionen sind. Für den Menschen, der handelnd die Lebenswirklichkeit zu bewältigen hat, sind konkrete Handlungsgrundsätze, die stets auch gesellschaftsbezogen sind, ursprünglich; erst eine nachträgliche philosophische Analyse eruiert einen implizierten normativen Anspruch. Viele Gebräuche sind lediglich faktische Gewohnheiten. Deren gesellschaftsbezogene Verbindlichkeit läßt sich überzeugend utilitaristisch damit erklären, daß ein vorteilhaftes Leben in einer Gemeinschaft verlangt, die jeweils geltenden Spielregeln zu befolgen. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß sich alle Gewohnheiten so reduzieren lassen; fraglich ist dies vor allem bei solchen Gewohnheiten, denen die Forderung zugrundeliegt, elementare Rechte anderer wie das Lebensrecht zu wahren. Sind diese Rechte durch die Menschenwürde als einen Wert an sich begründet?

 

D. Kann es überhaupt allgemeinmenschliche Wertungen geben? Hängt nicht jede Bewertung eines Verhaltens als vorbildlich von zeitbedingten Anschauungen ab? Wenn Aristoteles die Tugenden als die rechte Mitte zwischen den beiden exzessiven Verhaltensweisen (dem Zuviel und Zuwenig) als den Verfehlungen bestimmt, ist er sich bewußt, daß es keine objektive, überzeitlich feststehende Mitte geben kann. Hierauf ist eine ähnliche Erwiderung wie auf den Wahrheitsrelativismus möglich. Dadurch, daß in nahezu allen Anschauungen, die Menschen tatsächlich formuliert und für wahr gehalten haben, zeitbedingte Momente einfließen, ist nicht ausgeschlossen, daß es eine absolut gültige Wahrheit gibt; freilich können die Menschen sich dieser überzeitlichen Wahrheit an sich immer nur annähern und sie von einem historisch bedingten, beschränkten Standpunkt aus betrachten. Entsprechend könnten wir einen unbedingt gültigen normativen Anspruch annehmen, der aber vom Menschen nicht als solcher in sittlichen Grundsätzen erfaßt und zum unmittelbaren Prinzip seiner einzelnen Handlungen gemacht werden kann, sondern nur als idealer Orientierungspunkt verborgen den konkreten Handlungsmaximen zugrundeliegt, in die immer auch zeitbedingte Wertungen eingehen.

 

E. Dies bewahrt uns vor dem Dilemma:Wenn wir eine unbedingte normative Geltung aufrecht erhalten wollen, dann müssen wir wie Kant alle Grundsätze und Wertungen, die unser einzelnes sittliches Handeln bestimmen, aus dem gesamten lebensweltlichen Bedingungszusammenhang herauslösen. Wenn wir umgekehrt die Lebenswirklichkeit als bestimmenden Faktor unseres Handelns berücksichtigen wollen, heben wir seinen sittlichen Charakter auf. Denn anders als einem materiellen Wert widerstreitet es einem sittlichen Wert, als Mittel für etwas gebraucht zu werden. Entsprechend muß eine sittliche Norm, die einen solchen (stets um seiner selbst willen zu erstrebenden) sittlichen Wert gebietet, unbedingt aus sich selbst heraus gültig sein. Eine Auflösung des Dilemmas ist möglich, wenn wir annehmen: Es gibt zwar unbedingt gültige Normen. Diese sind uns aber entweder nicht erkennbar, oder jedenfalls ergeben sich unsere konkreten Handlungsprinzipien nicht unmittelbar aus ihnen.

 

F. Die Tugenden, die solche konkreten und damit von der jeweiligen Lebenswirklichkeit abhängigen Prinzipien darstellen, brauchen damit nicht von dem menschlichen Glücksstreben isoliert zu werden. Eine sittliche Handlung, die stets um ihrer selbst willen zu geschehen hat, wäre nur dann nicht als sittliche möglich, wenn das Glück ein ihr äußeres Resultat wäre, zu dem sie als Mittel gebraucht wird. Tugend und Glück wurden aber (etwa von Aristoteles) als zwei innerlich zusammenhängende Aspekte eines gelungenen und erfüllten Lebens betrachtet. Für die Sittlichkeit ist konstitutiv, daß es dem Handelnden freisteht, sich für das zu entscheiden, was er als sittlich erlaubt oder geboten erkannt hat. Die Möglichkeit einer solchen sittlichen Handlung darf mithin nicht von günstigen äußeren Umständen abhängig sein. Kant sah die für ein sittliches Handeln konstitutive Autarkie nur gewährleistet, wenn er es von der Glückseligkeit ganz abtrennt, die nie von Äußerem völlig unabhängig sein kann. Nun ist für die Freiheit (und damit auch die sittliche Autarkie) aber keine völlige Ungebundenheit verlangt, sondern nur, daß die determinierenden Faktoren einen Spielraum für freies Entscheiden lassen. Dieser Freiheitsspielraum, der auch durch bloßen Zufall ausgefüllt werden kann, ist nur eine notwendige Bedingung sittlichen Handelns. Eine weitere notwendige Bedingung ist, daß die Vernunft diesen Entscheidungsspielraum nutzt, um sich für das zu entscheiden, was sie als einen Wert an sich erkannt hat (im Gegensatz zu utilitaristischen Zielen wie dem Überleben, die sich stets auch als Mittel auffassen lassen).

 

 

Kap. 2: Deontologie und teleologische Normenbegründung

 

A. Die deontologische Position nimmt an, daß es zwar keine absolut gültigen Gebote gibt, wohl aber Verbote. Denn bestimmte Arten (Typen) von Handlungen wie Mord oder Folter, die die Würde oder das Lebensrecht des Menschen als Werte an sich verletzen, seien in sich verwerflich und könnten daher unter keinen Umständen gerechtfertigt werden, weder durch die besondere Handlungssituation, noch durch gute Absichten, die man damit verfolgt, noch durch die Konsequenzen, daß man durch solch ein Handeln größeres Unheil abwendet. Die teleologische Position kritisiert dies als eine Gesetzesethik, die meine, den Einzelfall durch Subsumieren unter ein allgemeines Gesetz zweifelsfrei entscheiden zu können, und glaubt statt dessen, Handlungsnormen könnten nur dadurch begründet werden, daß man für jeden Einzelfall die Konsequenzen der verschiedenen Handlungsalternativen (das Erzielte) gegeneinander abwägt. Von deontologischer Seite wird dem entgegengehalten: Ein solcher Konsequentialismus verkenne die Eigenart des sittlichen Handelns (LM#OOªÇI), das nach Aristoteles ein Ziel in sich selbst darstelle und daher aus sich heraus zu bewerten sei, im Unterschied zum technischen Herstellen (LÎǪÉI), das sein Ziel in einem über den Herstellungsprozeß hinausgehenden und aus ihm resultierenden Produkt habe. Hier erhält ein an sich wertneutrales Tun (das Herstellen) seinen Wert oder Unwert erst durch die Folgen, d.h. die Qualität des Produkts.

 

B. Die deontologische Position wird auch als Gesinnungsethik bezeichnet, weil sie anstrebt, durch Befolgen unbedingt gültiger Gesetze eine sittlich einwandfreie Gesinnung zu wahren. Der Teleologe fühlt sich dagegen als Verantwortungsethiker, der in verantwortungsvollem Abwägen möglicher Folgen (Konsequenzen) seines Handelns entscheidet. Das Ziel (O±GÎÑ), im Hinblick auf das er seine Normen begründet, ist folglich nicht die subjektiv mit dem Handeln verfolgte Absicht (finis operantis), auf deren Lauterkeit es dem Gesinnungsethiker ankommt, sondern die tatsächlichen Folgen (finis operis). Auch der Deontologe kann unbeschadet seiner Position zugeben, daß die voraussehbaren Folgen bei der Entscheidung über eine Handlung mit zu erwägen sind und daß es eine schuldhafte Fahrlässigkeit sein kann, dies zu unterlassen. Der Streitpunkt ist, ob in jedem Fall die positiven oder negativen Folgen der verschiedenen Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen sind, oder ob in manchen Fällen eine Handlungsmöglichkeit als in sich verwerflich von vornherein auszuschließen ist, so daß eine Güterabwägung gar nicht in Frage kommt. Bedenkt man, daß aus dem technischen Herstellen ein Produkt resultiert, das, einmal entstanden, seine Eigendynamik unabhängig vom Hersteller entfaltet und daher zu nicht absehbaren Folgen führen kann, so sieht man, wie schwierig es ist, jemanden für alle Folgen seines Tuns verantwortlich zu machen. Darf jemand um dieser unsicheren Konsequenzen willen eine eindeutig verwerfliche Handlung begehen?

            Eine deontologische Position führt nicht zwingend zu dem ethischen Narzißmus eines Gesinnungsethikers, der ausschließlich darauf achtet, selber sittlich rein zu bleiben und auf keinen Fall die moralischen Gebote zu übertreten, was immer in der Welt geschehen mag. Wer aber aus Angst (er sei in einer heiklen Situation bei jeder ihm bewußten Handlungsmöglichkeit gezwungen, einem sittlichen Gesetz zuwider zu handeln) auf jedes Handeln mit Vorbedacht verzichtet, der handelt in gewissem Sinne gerade durch einen solchen Verzicht und hat sich für die voraussehbaren Folgen dieses Handelns, wenn er Skrupellosen das Feld überläßt, zu verantworten. Mit einer wohlverstandenen deontologischen Position ist der Grundsatz der Verantwortungsethik vereinbar, jeder sei für die tatsächlichen Folgen seines Handelns verantwortlich, sowohl wenn er sie vorausgesehen und daher gewollt oder zugelassen hat, als auch wenn er sie hätte voraussehen können, sofern er die Handlungsmöglichkeiten mit der vom sachlichen Gewicht geforderten Sorgfalt geprüft hätte. Auch wenn für Deontologen sittlich entscheidender ist, welcher Grundsatz die (voraufgehende) Motivation zu einem Handeln dieser Art bildet, sind die Konsequenzen für ihn doch nicht moralisch irrelevant. Bei einer sittlich wertvollen und einer sittlich indifferenten Handlungsart verlangt er sogar entsprechende Folgen, damit eine Einzelhandlung als gut gelten kann. Sittlich verwerfliche Handlungen müssen dagegen nach dem strikten Deontologen unbesehen aller Folgen unterlassen werden. Es ist jedoch eine gemäßigt deontologische Position denkbar, die das unmittelbare Tun des Menschen nicht stets isoliert betrachtet, sondern es mit solchen Folgen, zu denen ein sachlich notwendiges Bedingungsverhältnis besteht, zu einem insgesamt zu bewertenden Handlungskomplex zusammenfaßt. Da eine für sich verwerfliche Handlungsart zusammen mit den Folgen einen zu rechtfertigenden oder sogar gebotenen Handlungstyp bilden kann, sind auch hier verantwortlich die Folgen zu prüfen.

            Auch wenn ein geistiges Produkt (ein literarisches Werk, Forschungsergebnisse etc.) immer nur dadurch wirken kann, daß andere es in bestimmter Weise rezipieren und in ihrem Sinne gebrauchen, ist es sicher verfehlt zu sagen: Wissenschaftliche Forschung selbst ist wertfrei, Verantwortung tragen allein diejenigen, die sie technisch oder gar militärisch einsetzen. - Sollen Forschungen, von denen Resultate zu erwarten sind, die eine bedenkliche Veränderung oder gar Zerstörung der Natur erlauben, von vornherein unterbleiben? Da solche Forschungen angesichts der theoretischen Neugier des Menschen nicht völlig unterdrückt werden können, können sittlich verantwortliche Menschen sich nicht in einer narzißtischen Gesinnungsethik einfach aus allen heiklen Forschungen heraus halten. Nur wenn sie selbst ein hinreichendes Wissen besitzen, können sie einen möglichen Mißbrauch durch andere abschätzen und verhindern. Zu beachten ist: 1.) Die Forschungen, die das erforderliche Grundlagenwissen liefern, dürfen nicht von den Bemühungen um eine sittlich zu verantwortende Anwendung isoliert werden. Eine verantwortliche Anwendung, die in Gebieten, wo solche weitreichenden und bedenklichen Konsequenzen wie in Kern- und Gentechnik möglich sind, ein Abwägen der Folgen mit maximaler Sorgfalt verlangt, setzt folglich voraus, daß alles gegenwärtig verfügbare Wissen zur Prüfung der Konsequenzen eingesetzt wird. 2.) Der Anwendung wie der Erforschung selbst müssen gewisse Grenzen gesetzt sein. Wissenschaftliche Resultate dürfen erst dann angewandt werden, wenn der erreichte Wissensstand mit hoher Wahrscheinlichkeit unvorhergesehene und nicht beherrschbare negative Folgen u.U. katastrophalen Ausmaßes auszuschließen erlaubt. Forschungen haben dann zu unterbleiben, wenn sie nur in einer Weise durchführbar sind, daß Menschen (auch menschliche Embryonen) lediglich als Objekte gebraucht werden und nicht in ihrer Würde als (potentielle) sittliche Subjekte geachtet werden.

 

C. Thomas von Aquin unterscheidet mehrere Faktoren, die für die sittliche Bewertung einer Handlung maßgeblich sind. Aus dem Objekt, d.h. Inhalt der Handlung ergibt sich die Klassifikation als eine bestimmte Art von Handlung. Neben dieser wesentlichen Bestimmung, die auch das wichtigste Bewertungskriterium ausmacht, sind aber auch die zusätzlichen (akzidentellen) Bestimmungen für eine Bewertung zu berücksichtigen: die besonderen Umstände des Handelns (circumstantia) sowie das Ziel (finis) oder die Absicht, die der Handelnde (subjektiv) mit diesem Tun verfolgt. Da das Gute das Vollkommene, Vollendete oder Integre ist, dem es an nichts fehlen darf, ist eine Einzelhandlung bereits nicht mehr gut, sowie in einem dieser beurteilungsrelevanten Faktoren ein Mangel (Defekt) vorliegt. Eine an sich gute Handlungsweise kann durch unpassende Umstände oder schlechte Absichten sittlich fragwürdig werden. Umgekehrt kann hiernach ein kraft der Handlungsart als schlecht zu klassifizierendes Verhalten durch keine Umstände oder Absichten gerechtfertigt werden. Daher kann man zwar bestimmte Handlungsarten verbieten, nicht aber unbedingte inhaltliche Gebote aussprechen, sondern nur formal gebieten, von welcher Form sittliche Maximen sein sollen. Zum richtigen Handeln im Einzelfall bedarf es neben dem allgemeinen Gesetz immer auch der sittlichen Urteilskraft

 

D. Wenn man fragt, in welchem der von Thomas bedachten Faktoren, die für die sittliche Bewertung einer Handlung maßgeblich sind, das objektive Resultat (finis operis) berücksichtigt ist, kommt am ehesten der Handlungsinhalt in Frage, nach dem eine Handlung wesentlich klassifiziert wird. Denn da ein bewußtes Handeln zielgerichtet ist, wird eine Handlungsweise (die bereits als solche oder allgemein einer Bewertung zugänglich ist) durch eine bestimmte Form eines bewußt herbeigeführten Resultats charakterisiert (definiert). Wenn ein komplexer, in mehreren aufeinander folgenden Stufen sich vollziehender Vorgang von vornherein als Ganzes angestrebt wird und tatsächlich zustandekommt, liegt nur dann eine einheitliche, insgesamt zu bewertende Handlungsweise vor, wenn die verschiedenen Vorgänge in einem Bedingungsverhältnis zueinander stehen und so eine sachlich notwendig zusammenhängende Einheit bilden. Wenn zwei Vorgänge hingegen nur deshalb zusammen auftreten, weil die Willkür des Handelnden sie zusammen erstrebt und zustandebringt, dann sind es zwei nur äußerlich verbundene und daher getrennt zu bewertende Handlungen. Hier kann ein sittlich verwerfliches Tun (z.B. Raub) nicht dadurch zu einer sittlich erlaubten oder sogar guten Handlung werden, daß sie in einer guten Absicht (Hilfe für Notleidende) geschieht. Hingegen bewertet man den schmerzhaften chirurgischen Eingriff von vornherein nicht als Körperverletzung, weil man ihn als notwendige Voraussetzung und damit integrierenden Bestandteil des Heilungsprozesses ansieht. Wenn man einen unschuldig Verfolgten vor dem Schergen eines Unrechtsregimes durch eine bewußte Falschinformation rettet, dann liegt nur dann eine einheitliche Handlungsweise (Weigerung, dem Unrechtsregime bei der Verfolgung seiner Opfer zu helfen) vor, wenn die Fehlinformation die einzig mögliche Weise ist, den Verfolgten zu retten. - Diese Frage, welche Klassifikation der Handlung für ihre sittliche Bewertung zugrunde zu legen ist, stellt sich nur innerhalb des deontologischen Ansatzes, für den die Handlung primär nach dem Handlungstyp zu beurteilen ist. Für die Kantische Ausprägung der Deontologie ist spezifisch, daß Kant den Handlungstyp auf seine Verallgemeinerbarkeit hin prüft. Er glaubt, daß die Lüge, auch in exakt umgrenzten Ausnahmefällen, keine verallgemeinerbare Handlungsweise ist, weil ich mir bei einer einzigen Ausnahme vom Wahrhaftigkeitsgebot in keinem Fall mehr gewiß sein kann, daß mein Gesprächspartner seine Worte auch so meint und dies die Basis vertraglicher Vereinbarungen, ja sogar (wie hinzuzufügen ist) der menschlichen Kommunikation untergräbt. Tatsächlich funktioniert die menschliche Verständigung jedoch trotz mancher Lügen sehr wohl, solange ich erwarten kann, daß in der überwiegenden Zahl von Fällen wahrhaftig gesprochen wird. Damit könnte sogar die Handlungsweise einer bewußten Fehlinformation in genau umgrenzten Fällen verallgemeinert werden, weil dadurch die geringe Zahl nicht wahrhaftiger Aussagen garantiert wäre. - Hier sollten wir indes nicht den Handlungstyp der Lüge annehmen. Dieser nämlich läßt sich allein durch die konsequentialistische Güterabwägung rechtfertigen, der Unwert der Unwahrhaftigkeit werde durch die Lebens­rettung als einen höheren Wert weit aufgewogen. Ein solches Gegeneinanderaufwiegen von Nutzen und Schaden ist bei materiellen Gütern angemessen, die nur relative Werte sind und daher um höherer Werte willen aufgeopfert werden können. Bei den sittlichen Werten, die als Ziele in sich aus sich heraus begründet sind, ist dies unzulässig; denn ein sittlicher Unwert ist entsprechend etwas unbedingt zu Meidendes. Eine bewußte Fehlinformation ist daher nur sittlich zu rechtfertigen, wenn sie nicht für sich zu bewerten ist, sondern ein nicht herauslösbares Element eines größeren Zusammenhangs darstellt, der nur insgesamt zu bewerten ist.

 

E. Die modifizierte deontologische Position nähert sich der teleologischen Position an, indem sie eine Handlung, die für ein Ziel unerläßlich ist, mit diesem Ziel zusammen bewertet. Denn eine Beurteilung des Gesamtvorgangs heißt soviel wie eine Beurteilung vom Endergebnis oder Ziel her. So gestattet die modifiziert deontologische Position manches, was die streng deontologische verbietet und nur die teleologische erlaubt. Dennoch ist für das bewußte, zielgerichtete menschliche Handeln nicht allein ausschlaggebend, was einer im Endergebnis tut, sondern wie dieses Tun begründet und motiviert ist. Eine konsequentialistische Begründung, die Wert und Unwert der einzelnen Handlungselemente abwägt, um den Nutzen zu maximieren und den Schaden zu minimieren, übergeht die Einsicht Kants: Der Mensch ist als ein vernünftiges Wesen und Subjekt sittlichen Handelns entsprechend der Unbedingtheit sittlicher Werte auch selbst ein Zweck an sich selbst. Es widerspricht daher der Würde einer menschlichen Person, bloß als Objekt oder Mittel zu äußeren Zwecken gebraucht zu werden. Der Kannibalismus als extreme Weise, diese Menschenwürde zu mißachten, kann daher niemals gerechtfertigt werden, auch nicht dadurch, daß so im Sinne eines utilitaristischen Kalküls im Endergebnis mehr Menschen überleben. Nach Kant degradiert einer aber auch durch ein lügnerisches Versprechen seinen Partner zum bloßen Mittel seiner Machenschaften. Für seine strikt deontologische Position ist die Lüge ebenso wie der Kannibalismus absolut verboten. - Man muß hier jedoch graduell unterscheiden, insofern der Mensch einmal in seiner ganzen Existenz zum Mittel herabgewürdigt wird, während durch Täuschung der Partner nur in bestimmten Bereichen seines Handelns die Personenwürde verliert. Aber auch da, wo es um Leben und Tod geht, muß differenziert werden. Selbst wenn wir davon ausgehen, daß das menschliche Leben einen absoluten Wert darstellt und wir daher nicht zwischen dem geborenen und ungeborenen Leben als einem mehr oder minder schützenswerten Gut unterscheiden dürfen, ist die Argumentation des strikten Deontologen intuitiv uneinsichtig: Da menschliches Leben nicht in einem Kosten-Nutzen-Kalkül verrechnet werden dürfe, sei man nicht legitimiert, durch absichtsvolle Tötung unschuldigen Lebens in der Abtreibung wenigstens das Leben der Mutter zu retten. Obgleich dieser Fall für den rigorosen Deontologen dem des Überlebens durch Kannibalismus analog ist, besteht ein bedeutsamer Unterschied. Die Abtreibung und Lebensrettung der Mutter sind sachlich so unlösbar verbunden, daß sie eine einzige insgesamt zu bewertende Handlungsart ausmachen. Hingegen besteht zwischen Kannibalismus und Lebensrettung kein so inniges Bedingungsverhältnis; daher müssen sie getrennt bewertet werden, und es liegt ein scheußliches Verbrechen vor, das nicht im Hinblick auf das biologische Überleben legitimiert werden kann. - Zugegebenermaßen ist keine exakte Entscheidung nach eindeutigen Kriterien möglich, wann zwischen zwei Vorgängen ein solches Bedingungsverhältnis herrscht, das es legitimiert, beide zu einer komplexen Einheit zusammenzufassen. Denn kaum bedingen sie einander mit absoluter logischer Notwendigkeit, die allein zweifelsfrei festzustellen wäre. Wer diese Unsicherheit eliminieren möchte, verkennt den Charakter der Ethik als einer praktischen Wissenschaft, die mit dem kontingenten Bereich einzelner Handlungen befaßt ist, in dem ein intuitiv richtiges Einschätzen der Einzelsituation unerläßlich ist. Wer hier allgemein gültige Gesetze für das konkrete Handeln zu formulieren versucht und doch der Lebenswirklichkeit gerecht werden will, gerät in kasuistische Spitzfindigkeiten. - Uneingestanden haben traditionelle Moraltheologen in ihrer Lehre vom gerechten Krieg den abgemilderten deontologischen Standpunkt vertreten. Da die Strategie auch eines gerechten Verteidigungskrieges offensive Handlungen erfordern kann, läßt sich nicht jedes Töten im Krieg (jedenfalls nicht vollständig wie die unmittelbare Notwehr) als eine bedingt willentliche Handlung rechtfertigen, bei der man zwischen Alternativen zu entscheiden hat, deren keine man ohne die äußere Zwangslage gewählt hätte. Für den strikten Deontologen wäre das Töten im Krieg daher konsequenterweise ein Fall der absolut verbotenen Handlungsweise: absichtsvolles Töten eines individuell vielleicht unschuldigen Menschen. Allein bei einem gemäßigt deontologischen Standpunkt ist es womöglich zu rechtfertigen, wenn es als unabdingbare Voraussetzung ein Element des größeren Handlungszusammenhangs ist: durch Kriegshandlungen zu verhindern, daß macht- und kriegslüsterne Diktatoren die Herrschaft über die Welt erlangen. Sowie in die Entscheidung über eine Handlung ein Moment des bedingt Willentlichen eingeht, liegt nicht mehr der Idealfall einer sittlichen Handlung vor, auf den der verantwortungsethische ebenso wie der deontologische Ansatz problemlos anwendbar ist. Nur wenn eine Handlungsalternative so ist, daß ich sie unbedingt bejahen kann, kann ich für dieses uneingeschränkt Gewollte auch uneingeschränkt verantwortlich sein. Nur wenn eine Handlung nicht durch (natürliche oder von verwerflichem Tun anderer herbeigeführte) Zwänge bedingt ist, kann das unmittelbare Tun sittlich bewertet werden, sonst ergeben sich die schwierigen Fragen, welches die sittlich zu beurteilende Handlungseinheit ist.

 

 

F. Für die deontologische Position stellt sich das Problem: Wenn der Mensch ein Zweck an sich selbst und sein Leben daher ein absoluter Wert ist, kann es dann überhaupt legitim sein, einen Menschen, auch einen schuldig gewordenen, bewußt zu töten? Dies kann wohl nur so begründet werden: Da dem Menschen diese absolute Würde nur zukommt, insofern er als ein mit (praktischer) Vernunft begabtes und daher zu sittlichem Handeln befähigtes Wesen beschrieben wird, sind mit der Menschenwürde auch Pflichten verbunden, namentlich stets auch bei anderen diese Würde eines sittlichen Subjektes zu achten. Wer diese Pflichten gröblich mißachtet, kann seine Menschenwürde verwirken. Genauer: Die Würde des Menschen als eines Zweckes an sich selbst ist unbedingt (und daher auch unteilbar). Sie kann daher nicht von der Bedingung abhängig gemacht werden, daß ein Mensch tatsächlich sittlich handelt und ihm nur in dem Grade zugeschrieben werden, in dem er sittlich handelt. Sie kommt gleichermaßen jedem Menschen (auch dem ungeborenen, unmündigen, geistesgestörten) kraft seiner Zugehörigkeit zu einer Spezies zu, deren ausgereifte Mitglieder normalerweise sittlich handeln können. Praktisch haben wir es jedoch nicht so sehr mit der Menschenwürde, einem eher theoretischen Postulat, zu tun als vielmehr mit den daraus abgeleiteten konkreten Menschenrechten. Diese sind vielfältig, graduell abzustufen und von der Bedingung abhängig, daß man jene Pflichten erfüllt, die man als Mensch anderen Menschen gegenüber hat. In dem Maß, wie man diese Pflichten verletzt, kann man mehr oder minder fundamentale Menschenrechte verlieren, das Recht auf Freiheit oder im Extremfall sogar das fundamentalste, am unmittelbarsten mit der Menschenwürde zusammenhängende Recht auf Leben. Aber selbst wenn es möglich ist, dieses Menschenrecht zu verwirken, ist noch immer fraglich, ob es einem menschlichen Richter ansteht, darüber zu urteilen. Ferner ist es dadurch, daß jemand seine Menschenrechte verwirkt, allenfalls erlaubt, ihn zu töten, aber noch lange nicht geboten. Ob es weitergehend eine sittlich gebotene und daher gute Tat ist, ihm bewußt das Leben zu nehmen, hängt davon ab, ob diese Tötung erforderlich ist, um von der Allgemeinheit einen größeren Schaden abzuwenden, was sicherlich im Fall des Tyrannenmordes und der Hinrichtung eines bereits gefaßten Mörders verschieden zu beantworten ist. Vermag ein Mensch diese Folgen stets verantwortlich genug abzuschätzen? Vielleicht gibt es Situationen einer tragischen Schuld, wo der Mensch bei dieser wie bei jener Weise zu handeln (oder sich des Handelns zu enthalten) schuldig wird.

 

G. Da das Nützliche das ist, was zu einem äußeren Ziel tauglich ist, führt eine utilitaristische Reduktion des Guten auf das Nützliche dazu, daß es nur noch relative Werte geben kann und damit prinzipiell alles zur Disposition steht. Der Kern einer deontologischen Position besteht darin, hiergegen zu betonen, daß es, namentlich in der Würde des Menschen als eines sittlichen Subjektes, einen Wert an sich gibt, der niemals zum Mittel gemacht werden darf. Diese Würde des Menschen verbietet selbst bei Einwilligung des Betroffenen, daß beliebige Dinge mit ihm geschehen, z.B. die Euthanasie. Philosophisch läßt sich das Euthanasieverbot daraus begründen, daß die Natur des Menschen im steten Übersteigen seiner selbst besteht (Selbsttranszendenz). Da der Mensch ein Zwischenwesen zwischen den nur endlichen Naturwesen und Gottes aktueller Unendlichkeit ist, macht die potentielle Unendlichkeit sein Spezifikum aus: In seinen tatsächlichen Leistungen immer nur endlich strebt der Mensch ohne eine Obergrenze nach immer Höherem. Wenn der Wert des Menschen sich teleologisch von seiner Bestimmung her ergibt, ist die Würde des Menschen unendlich, sofern der Mensch sich in seinem Streben und Sehnen auf das Unendliche richtet. Wo Wert und Würde des Menschen als ganze auf dem Spiel stehen, kann die Entscheidung nicht der stets beschränkten und daher fehlbaren Urteilskraft des Menschen anheimgestellt werden, auch nicht der des Betroffenen selbst, eine Beschränktheit, die etwa daran greifbar wird, daß ein Mensch in deprimierter Stimmung Entscheidungen fällt, die er nachher bereut, oder daß er sich unter äußerem Druck anderer für etwas entscheidet, was er freiwillig nicht täte.

 

H. Eine Zuspitzung der konsequentialistischen Position ist der Utilitarismus, für den der moralische Wert einer Handlung, ob sie moralisch richtig oder unmoralisch ist, von ihren außersittlichen Folgen abhängt. Er steht damit in scharfem Gegensatz zur Kantischen Ethik als dem wohl konsequentesten Versuch, jedes außersittliche Motiv aus einer sittlichen Handlung auszuscheiden. Anders als für Aristoteles, nach dem die Ethik mit dem kontingenten Einzelnen befaßt ist, muß die praktische Vernunft nach Kant ebensolchen Ansprüchen an die Verallgemeinerbarkeit genügen wie die theoretische (spekulative), die sie ergänzt. Da die Glücksvorstellungen je nach Kultur und Individuum verschieden sind, dürfen sie laut Kant auch im Bereich der praktischen Vernunft keine Rolle spielen. Vielmehr ist gerade das für die Vernunfteinsicht charakteristische Merkmal der Verallgemeinerbarkeit für ihn auch das Charakteristikum der Sittlichkeit einer Handlung, der eine Regel (Maxime) zugrundeliegen muß, die sich in eine für alle vernünftigen Wesen überhaupt gültige Gesetzgebung einfügen läßt. Der Utilitarismus reagiert auf die Relativität der Glücksvorstellungen anders, aber nicht etwa damit, daß er den Allgemeinheitsanspruch aufgibt, sondern damit, daß er im Streben nach Angenehmem (pleasure) und im Meiden des Schmerzlichen (pain) etwas sieht, was nicht nur allgemein allen Menschen, sondern allen empfindungsfähigen Wesen zukommt. Damit stellt sich die Frage nach der Reichweite der Ethik, wem gegenüber wir uns moralisch richtig oder falsch verhalten können, wer oder was beanspruchen kann, moralisch behandelt zu werden: nur die Menschen, alles Empfindungsfähige, alles Belebte, die ganze Natur (Umwelt) (anthropozentrischer, pathozentrischer, biozentrischer, holistischer Ansatz)? Dem Utilitarismus, der ein Handeln nach seinen lustvollen oder schmerzlichen Folgen bewertet, entspricht es, die tatsächliche Empfindungsfähigkeit, die sich empirisch nachweisen läßt, zum Kriterium dessen zu machen, ob etwas moralische Ansprüche hat. Eine vernünftige Natur des Menschen, die auch in Stadien gegeben ist, wo die biologischen Bedingungen einen aktuellen Vernunftgebrauch noch nicht oder nicht mehr erlauben, lehnt man als metaphysisches Postulat ab. Daher ist für Utilitaristen ein noch nicht empfindungsfähiger Embryo oder ein der Glücksempfindung nicht mehr fähiger Mensch kein Objekt moralischen Handelns. Somit seien Abtreibung und Euthanasie hier moralisch unbedenklich. - Da aber moralische Rechte offenbar mit moralischen Pflichten, mithin der Fähigkeit, selbst sittlich zu handeln, zusammenhängen, kann wohl nur der Mensch, der kraft seiner Vernunft­fähigkeit Subjekt sittlichen Handelns sein kann, im strengen Sinne ein moralisches Objekt mit moralischen Ansprüchen sein.

 

I. Neben der sittlichen Bewertung aus außersittlichen Folgen ist eine weitere Gemeinsamkeit der verschiedenen Ausprägungen des Utilitarismus das Maximierungs­prinzip, daß die positiven Folgen der Handlung zu maximieren und die negativen Folgen möglichst gering zu halten seien. Anders als für den Handlungsutilitarismus braucht für den Regelutilitarismus nicht die einzelne Handlung optimale Folgen zu haben; ihr muß vielmehr eine solche Regel zugrundeliegen, die insgesamt und auf Dauer einen maximalen Nutzen sichert. Für den Präferenzutilitarismus bemißt sich der Wert einer Handlung daran, in welchem Maße sie den Interessen und Präferenzen aller Betroffenen gerecht wird. Hier wird die Frage akut, ob man nur dem Menschen oder auch der nichtmenschlichen Natur Interessen und Präferenzen und daher moralische Rechte zuschreiben kann. Die Extrempositionen sind wohl beide falsch. Für die dem traditionellen Recht entsprechende Position ist unser Handeln der nichtmenschlichen Natur gegenüber an sich sittlich indifferent (auch Tierquälerei), ihm kann nur mittelbar ein sittlicher Wert zuwachsen, sofern ein Mensch (Besitzer des Tieres) betroffen ist. Aus der Unhaltbarkeit dieser Auffassung folgt aber nicht umgekehrt, daß dem Menschen keinerlei Sonderstellung zukommt. Der ursprüngliche Ort sittlichen Handelns sind zwischenmenschliche Beziehungen, nur der Mensch kann im primären und eigentlichen Sinne sittlich richtig oder unmoralisch behandelt werden; denn nur er kann sittlich handeln, ist sich seiner Anliegen, Vorlieben und Wünsche bewußt und kann diese artikulieren. Dies schließt aber nicht aus, daß zumindest empfindungsfähigen Tieren gegenüber bestimmte menschliche Verhaltensweisen an sich, also unabhängig von etwaigen Folgen für Menschen, einer sittlichen Bewertung zugänglich sind. Die Abhängigkeit moralischer Rechte von der Fähigkeit, selbst moralischen Pflichten zugänglich zu sein, bedeutet nicht: Das Maß der konkreten sittlichen Pflichten, die ich einem Individuum gegenüber habe, hängt davon ab, welches Maß an moralischen Pflichten der andere mir gegenüber zu erfüllen vermag. Ich kann vielmehr gerade einem Hilfsbedürftigen gegenüber besonders sittlich verpflichtet sein, obgleich an ihn in diesem Stadium sinnvoll keine sittlichen Forderungen zu stellen sind. Daß sittliche Pflichten im primären und uneingeschränkten Sinne davon abhängen, daß der andere von solcher Art ist, daß er grundsätzlich sittlichen Pflichten zugänglich ist, liegt daran, daß Handeln kein einseitiges Wirken ist, sondern im Kontext eines Interagierens steht, so daß es für die Qualität meiner Handlung darauf ankommt, zu welchem Verhalten mein Gegenüber befähigt ist. Folter ist daher von grundsätzlich anderer Art als Tierquälerei, weil sie neben dem körperlichen Schmerz eine bestimmte Reaktion beim anderen hervorrufen will, die mentale Fähigkeiten bei ihm voraussetzen. Es ist indes nicht so, wie die Diskursethik annimmt, daß alle von einer Entscheidung betroffenen Menschen tatsächlich in einem rationalen, nach Diskursregeln geführten Gespräch ihre Bedürfnisse und Wünsche artikulieren müssen und einen Interessenausgleich zu finden suchen. Ein solcher herrschaftsfreier Diskurs findet (außer im Bereich der Politik) nicht nur nicht tatsächlich statt, er verkennt, auch als rationale Konstruktion betrachtet, die wesentliche Eigenart des sittlichen Handelns: Ich muß mich hier gerade eigenverantwortlich entscheiden und dabei die Anliegen der übrigen Betroffenen von mir aus einbeziehen, um ihnen soweit wie möglich gerecht zu werden und mich so vor meinen Mitmenschen verantworten zu können; ich kann die Verantwortung gerade nicht auf die Mitberatenden abwälzen.

 

J. Das Maximierungsprinzip ist nicht zwangsläufig egoistisch; wenn es gebietet, den Nutzen aller Betroffenen zu maximieren, erhebt es eine sehr altruistische und nicht leicht zu erfüllende Forderung. Auch können die sehr vagen Begriffe eines Interesses und eines Nutzens inhaltlich recht verschieden gefüllt werden (nicht nur materielle oder körperliche, sondern auch geistige oder künstlerische Werte). Kann das quantitative Maximierungs­prinzip, das ein größtmögliches Quantum an positiven Folgen verlangt, dieser qualitativen Verschiedenartigkeit der Güter gerecht werden? Man könnte denken, daß ein unterschiedlicher Werteindex für die höherwertigen geistigen  und die niedrigeren materiellen Güter es ermögliche, den Unterschied in Qualität und Gewicht der verschiede­nen Güter angemessen zu berücksichtigen, wenn man sie in ein quantitatives Kalkül einbeziehe, das einen maximalen Gesamtwert ermitteln soll. Zum einen ist aber problematisch, ob die qualitativen Unterschiede sich durchgängig exakt in Zahlen messen lassen und ob wir (bei einer prinzipiellen Möglichkeit) dazu die geeigneten Meßverfahren entwickeln können. Fraglich ist aber auch, ob eine solche Quantifizierung dem qualitativen Charakter gerecht wird: Kann eine Differenz den zwiespältigen Charakter z.B. eines sadistischen Vergnügens angemessen ausdrücken, das als Freude positiv ist, in dem aber, was die Ursache des Sichfreuens ist, einen größeren Unwert darstellt?

 

K. Um allgemeinverbindliche Normen auszudrücken, darf ein sittliches Urteil nicht von dem privaten Standpunkt der eigenen Person oder Gruppe aus gefällt werden, sondern muß von einem universalen Standpunkt aus urteilen. Die Utilitaristen haben dies in ihrer These gespürt, ein richtiges Handeln setze den Urteilsstandpunkt eines unparteilichen, aber doch wohlwollenden Beobachters voraus. Dieser Grundsatz der Unparteilichkeit droht aber, zumal wenn man ihn zu der Gerechtigkeitsforderung verstärkt, jedem das ihm Gebührende zuzuweisen, in Konflikt zu geraten mit der Maximierung des Gesamt­nutzens. Dieser kann nämlich zu extrem ungerechten Benachteiligungen der Schwachen führen. Hier muß wohl im Sinne einer Deontologie gefordert werden, daß gewisse unveräußerliche Rechte des einzelnen nicht um eines Nutzens der staatlichen Gemeinschaft willen geopfert werden dürfen. - Rawls Gerechtigkeitsutilitarismus versucht, die Gleichheit und Unparteilichkeit durch die Gedankenkonstruktion eines ursprünglichen Zustandes zu gewährleisten, wo alle Beteiligten, ohne bereits ihre künftige gesellschaftliche Rolle zu kennen, die Grundlinien ihres Zusammenlebens vertraglich festlegen. Hier würde man vernünftigerweise akzeptieren, daß Ungleichheiten nur dann zu rechtfertigen seien, wenn alle Beteiligten, namentlich die Schwächeren, davon profitierten. - Hier zeigt sich übrigens der enge Zusammenhang der Ethik mit Politik und Rechtsphilosophie. Schon bei Aristoteles waren Ethik und Politik innig verbunden, da zumal die sozialen Tugenden der Gerechtigkeit und Freundschaft nicht in einem luftleeren Raum universeller Vernünftigkeit verwirklicht werden können, sondern bedingt sind durch die jeweiligen Staats- und Gesellschaftsformen.

 

 

Kap. 3:  Normative Ethik und Metaethik

 

A. Die Ethik ist wie die Moral mit Normen (Werturteilen, Vorschriften, tugendhaften Grundhaltungen) befaßt, die den Menschen zu einem richtigen Verhalten anleiten. Als philosophische, d.h. wissenschaftliche Disziplin zeichnet sie sich vor der lebensweltlichen Moral durch das methodische Vorgehen und den Versuch argumentativer Begründung aus, der sich (im Unterschied zur Behandlung des moralischen Bereichs durch empirische Wissenschaften wie Soziologie und Psychologie) auf den normativen Geltungsanspruch selbst beziehen muß. Ein weiteres Merkmal sehr vieler Ethikkonzeptionen ist, daß es in ihnen um eine Güterordnung und die Frage des höchsten Gutes (summum bonum) geht. Dies ist kein Zufall, sondern liegt im zielgerichteten Charakter des menschlichen Handelns begründet, das darauf abzielt, das Gute oder vielmehr das als gut Erachtete zu erreichen. Da es keinen unendlichen Güterregreß geben darf, muß offenbar ein höchstes Gut oder letztes Ziel angenommen werden, das nicht mehr um eines anderen, sondern um seiner selbst willen gewollt wird. Aber zumindest Kants Ethik ist der konsequente Versuch, das Sittliche rein ohne Verflechtungen zu Außersittlichem zu erreichen; daher eliminiert er aus der Ethik die Frage nach dem höchsten Gut, das nur im Kontext einer umfassenderen Güterordnung verstanden werden kann, in der sittliche und außersittliche Güter aufeinander bezogen sind. Zwar könnte man in der Selbstbestimmung, daß die praktische Vernunft sich durch das von ihr eingesehene und sich selbst gesetzte Sittengesetz bestimmt, einen höchsten Wert in der Kantischen Ethik sehen. Diese Autonomie ist aber die Voraussetzung jeden sittlichen Handelns und kann daher kein Gut sein, das den Inhalt und das Ziel menschlichen Handelns und Strebens ausmacht, das einer in seinem Tun zu erreichen strebt. Was Kant höchstes Gut nennt (eine der Sittlichkeit oder Glückswürdigkeit entsprechende Glückseligkeit), ist kein Gut im eigentlichen Sinne, da es nicht als Ziel im willentlichen Handeln erstrebt werden kann. Eine allgemeine Definition, die auch auf solche formalen Ethik­konzeptionen zutrifft, kann die Ethik daher nur als den Versuch bestimmen, normative Aussagen aufzustellen und zu begründen. Da die Ethik somit wesentlich eine normative Wissenschaft ist, kann die sog. praktische Ethik, die Verhaltensmaßregeln für konkrete Entscheidungssituationen menschlichen Handelns erörtert, nicht als ein selbständiger Zweig der Ethik gelten, sondern nur als eine Anwendung der normativen Ethik auf besondere Fälle. Dasselbe gilt für die speziellen Ethiken wie die Bereichsethiken, die keine für alle Menschen verbindlichen sittlichen Pflichten und Einstellungen behandeln, sondern sittliche Fragen bezüglich bestimmter Lebensbereiche (Umweltethik, Genethik, Wirtschaftsethik) oder Verpflichtungen für bestimmte Personengruppen (Medizinethik). Denn es ist das Wesen der Ethik, konkrete Handlungs­situationen im Licht allgemeiner Normen zu entscheiden. Deren Allgemeinverbindlichkeit läßt sich aber nur in einem universalen Kontext begründen, wo man von besonderen Interessen einzelner Personengruppen und den zufälligen Eigenarten der jeweiligen Situation absieht. Speziellere Normen lassen sich in ihrem Verbindlichkeitsanspruch daher nur begründen, wenn wir sie aus allgemeinen ableiten.

 

B. Klar voneinander zu scheiden sind daher nur normative Ethik und Metaethik. Gegenüber der normativen Ethik, die auf der Objektebene inhaltliche Forderungen aufzustellen und zu begründen versucht, fragt die Metaethik auf einer höheren reflexiven Stufe, welchen Status die Aussagen der normativen Ethik haben und welches daher die angemessene Methode ist, sie zu begründen. Wenn die Metaethik zu dem Schluß kommt, daß normative Aussagen keinen begründbaren Wahrheitsanspruch haben oder besser keinen allgemeinen Geltungsanspruch (falls sie nicht als wahrheitsfähige Tatsachen­aussagen gelten), kann es keine normative Ethik geben, sondern nur eine Metaethik, die mit sprachanalytischen Methoden die Eigenart moralischer Aussagen untersucht. Falls die Metaethik dagegen zu dem Resultat gelangt, normative Aussagen hätten einen legitimen Geltungsanspruch, dann sind normative Ethik und Metaethik trotz des klaren Unterschieds der logischen Stufe sachlich untrennbar. Zunächst gilt es im Rahmen metaethischer Untersuchungen der Methoden einer Normenbegründung zu klären, was überhaupt eine begründbare sittliche Norm ist; hiervon hängt aber ab, welche Normen mit begründetem Geltungsanspruch im einzelnen formuliert werden können, eher eine inhaltliche Frage der normativen Ethik.

 

C. Für die subjektivistische metaethische Position des Nonkognitivismus artikulieren wir in moralischen Urteilen lediglich unsere subjektiven, gefühlsmäßigen Einstellungen, so daß sie nicht den logischen Status wahrheitsfähiger Aussagen haben. Schwierig für diese Position ist aber, unsere alltägliche sittliche Praxis zu erklären, daß wir unsere moralischen Urteile, in denen wir eigenes und fremdes Verhalten als sittlich richtig oder falsch einstufen, für objektiv und allgemeinverbindlich halten. Damit unterscheiden sie sich bemerkenswert von den ästhetischen Urteilen nach schön und häßlich als der anderen Form von Werturteilen. Wenn wir diese in der neuzeitlichen Tradition als subjektive Geschmacksurteile betrachten, so impliziert das keine völlige Beliebigkeit. Wir unterscheiden einen guten und schlechten Geschmack (zumal bei ästhetischen Aspekten der Gebrauchsgegenstände) und erkennen ein kompetentes Urteil von Fachleuten an. Dennoch gestehen wir einem anderen einen breiten Freiraum persönlicher Vorlieben und subjektiver Neigungen zu, verurteilen also nicht jede Abweichung von unserem Urteil als geschmacklos, eben weil sich z.B. in Kunststilen ein (nicht zu verallgemeinerndes) Lebensgefühl ausdrückt. In moralischen Fragen gestehen wir nur bei indifferenten Handlungen einen subjektiven Entscheidungsspielraum zu; sonst betrachten wir aber jede Abweichung von unserem Urteil als moralisch verkehrt (unsittlich) und den Vertreter solcher Auffassungen als sittlich schlechten Menschen, setzen mithin objektive Maßstäbe für das moralisch Richtige und Falsche voraus. - Für den Kognitivismus demgegenüber ist mit sittlichen Urteilen ein objektiver Geltungsanspruch verbunden. Die einzelnen Positionen unterscheiden sich, je nachdem wie sie glauben, die Forderung nach einer (für jeden nachzuvollziehenden) Begründung dieser objektiven Urteile könne erfüllt werden. Für den Naturalismus z.B. haben die sittlichen Urteile den Status wahrheitsfähiger Tatsachenaussagen, weil sie sich aus Aussagen über nicht-sittliche Tatsachen ableiten lassen. Auf den Einwand, daß die tatsächlich in verschiedenen Kulturen und Epochen vertretenen Moralvorstellungen stark divergieren, kann erwidert werden: Zum einen können verschiedenen konkreten Handlungsmaximen in unterschiedlichen Lebensbe­dingungen dieselben normativen Ansprüche zugrundeliegen. Bei Moralsystemen, die sich irreduzibel sogar in ihren Prinzipien widersprechen, muß man das eine als sittlich falsch ansehen. Es ist uns vertraut, daß nicht nur einzelne Menschen und Bevölkerungsgruppen, sondern ganze Völker in bestimmten Epochen sittlich verkehrte Anschauungen vertreten haben.

 

D. Es gibt zwei hauptsächliche Formen sittlicher Urteile. Die Werturteile enthalten Wertprädikate, die sich in Gegensatzpaaren anordnen lassen, da eine Bewertung stets in der Differenz von Anerkennung und Verwerfung geschieht: gut - böse oder (im Sinne der einzelnen werthaften Grundhaltungen oder Tugenden) gerecht - ungerecht usw. Die in Verpflichtungsurteilen auftretenden deontischen Prädikate lassen sich wegen ihrer Parallelität zu alethischen Modalitäten formalisieren: Eine erlaubte Handlung ist sittlich möglich, eine unerlaubte (verbotene) sittlich unmöglich, eine gebotene Handlung sittlich notwendig. Beide Formen sittlicher Urteile sind trotz ihrer Aussageform normativ, deontische lassen sich unmittelbar in Gebote oder Verbote unwandeln, eine positive oder negative Bewertung aber begründet ein Gebot oder Verbot. Die deontischen Prädikate, die sich ausschließlich von Handlungen aussagen lassen, sind einer Pflichtethik wie der Kantischen angemessener: Man kann eine Handlung unmittelbar (ohne Rücksicht auf die Einstellungen der handelnden Personen) gebieten, weil der Mensch grundsätzlich frei ist, sich zu dem Handeln zu bestimmen, das seine praktische Vernunft als sittlich richtig erkannt hat. Wertprädikate, die sich auch von der handelnden Person und ihrem Charakter aussagen lassen, sind hingegen einer Tugendethik wie der Aristotelischen angemessener. Da menschliches Handeln nach Aristoteles von Gefühlsregungen bestimmt ist, kann der Mensch sich nicht unmittelbar zum richtigen Handeln bestimmen, sondern muß erst die richtige Charakterhaltung erwerben, in der die beiden entgegengerichteten Emotionen in ausgewogenem Verhältnis stehen, so daß er auch ein mittleres Verhalten aufweist zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig. - Die metaethische Betrachtung der unterschiedlichen Verwendung deontischer und wertender Prädikate hilft so, zwei Formen normativer Ethik zu unterscheiden. Umgekehrt ist für die metaethische Norm­begründung nicht unwichtig, daß bei Aristoteles die Wertprädikate im Zusammenhang mit den außersittlichen Seelenkräften gesehen werden.

 

E. Der Naturalismus zeichnet sich durch einen Verstoß gegen das Humesche Gesetz aus, das verbietet, aus Seinsaussagen Sollensaussagen herzuleiten. Aus Prämissen, die nicht bereits mindestens ein Werturteil oder eine Verpflichtungsaussage enthalten, läßt sich gemäß Hume’s Law nicht logisch gültig eine normative Aussage als Conclusio herleiten. Sollte ein solcher Schluß möglich sein, dann müßten sich die in die angestrebte Conclusio einzuführenden deontischen oder wertenden Ausdrücke, die in den Prämissen als Seinsaussagen noch nicht vorkommen, durch deskriptive definieren lassen. Unter ‘naturalistischer Fehlschluß’ (naturalistic fallacy) versteht man seit Moore diese Annahme, Präskriptives sei durch Deskriptives definierbar, die nicht eigentlich ein ungültiger Schluß, sondern ein Irrtum über die tiefengrammatische Struktur normativer Prädikate ist. Es scheint zunächst möglich, ein Wertprädikat durch eine rein beschreibende Charakterisierung des so bewerteten Verhaltens zu definieren. Eine solche Verhaltensbeschreibung kann aber die Bedeutung eines normativen Prädikats niemals erschöpfen, dessen wesentliche Aufgabe gerade darin liegt, zu dem beschriebenen Verhalten wertend, d.h. abratend oder anerkennend Stellung zu beziehen. Da im Unterschied zu ‘gut’ und ‘schlecht’ als allgemeinen Formen einer wertenden Stellung­nahme bei den spezielleren Wertbegriffen das deskriptive Element sehr ausgeprägt ist, verwechseln wir sie leicht mit der in ihnen implizierten Verhaltensbeschreibung. Moore wirft dem Naturalismus vor, den logischen Status solcher Aussagen wie ‘Lust ist gut’ zu verkennen. Sie seien keine analytisch wahren Definitionsaussagen, in denen zwei synonyme (bedeutungsgleiche) Ausdrücke gleichgesetzt werden, so daß die Bedeutung eines normativen Ausdrucks sich durch die Bedeutung eines deskriptiven erklären ließe. Vielmehr könne bestenfalls eine synthetisch wahre Allesaussage vorliegen, die von allen Einzelfällen eines Zustandes (des Lustvollen), eines Verhaltens etc. die über das Subjekt hinausgehende Aussage macht, sie seien gut. Dies entspricht dem Anliegen der Ethik, daß ein Wertbegriff durch sein zusätzliches Bedeutungselement die Aufforderung enthält, sich zu dem im Subjektbegriff beschriebenen Zustand in bestimmter Weise zu verhalten, ihn anzustreben oder zu meiden. Alle naturalistischen Theorien im weiten Sinne oder Definitionstheorien versuchen, aus Definitionen präskriptiver Begriffe mittels deskriptiver sittliche Ansprüche herzuleiten. Ethische Urteile gründen für sie mithin in Tatsachen über die Natur der Dinge, für den Naturalismus im engeren Sinne (z.B. die evolutionäre Ethik) in den von den Naturwissenschaften (einschließlich der Psychologie) erforschten empirischen Tatsachen, für den metaphysischen Moralisten in metaphysischen und theologischen Tatsachen. - Spricht nicht gegen Moores Annahme, daß zwischen analytischen und synthetischen Aussagen keine scharfe Scheidung möglich ist? Daß ein so und so beschriebenes Verhalten mit einem bestimmten Wertprädikat zu belegen ist, mag zunächst eine nicht selbstverständliche (synthetische) Aussage sein, sich dann aber so etablieren, daß daraus eine quasi definitorische Gleichsetzung wird. Durch solche Definitionen, die den tatsäclichen Sprachgebrauch und damit die in einer Sprach­gemeinschaft faktisch vollzogenen Wertungen wiedergeben, lassen sich aber keine moralischen Vorschriften begründen. Eher schon könnte man an stipulative Regelungen des künftigen Sprachgebrauchs denken, die bestimmte Bewertungen definitorisch festsetzen. Um Willkür zu vermeiden, müßten die Bedingungen sorgfältig expliziert werden, unter denen wir vernünftigerweise Normen oder Wertungen festsetzen. - Searle hat versucht, durch die Definition der Sprachhandlung des Versprechens eine Verpflichtung aus Seinsaussagen abzuleiten. Da der Sprechakt des Versprechens sicher erst dann gelingt, wenn man im Moment des Versprechens die ehrliche Absicht hat, das Versprochene zu erfüllen, bedeutet ‘versprechen’ soviel wie: ‘seine (tatsächlich vorhandene) Absicht zu erklären, etwas (soweit es an einem selbst liegt) zu erfüllen’. Bei dieser moralisch neutralen Bedeutung von ‘versprechen’ ist ein Schluß auf eine Verpflichtung, da auch eine ehrliche Absicht geändert werden kann, nur bei der explizit deontischen Zusatzprämisse möglich, öffentliche Absichtserklärungen dürften nie zurückgenommen werden. ‘Versprechen’ kann, von manchen Menschen prädiziert, bedeuten ‘eine (moralische) Verpflichtung übernehmen’, aber nur in dem subjektiven Sinne, daß sie sich verpflichtet fühlen. Von einer solchen Aussage über die moralischen Empfindungen eines anderen, die man z.B. psychologisch erklären kann, ist indes kein Schluß auf eine objektive, auch vom Sprecher anerkannte Verpflichtung möglich. Eine Definition von ‘versprechen’, die eine objektive moralische Verpflichtung impliziert, ist hingegen gar keine analytische Bedeutungsexplikation mehr, sondern eine deontische Prämisse, d.h. eine synthetische Aussage, welche moralischen Implikationen das Versprechen hat. Wenn wir aber eine moralische Verpflichtung auf eine institutionelle reduzieren, so ist Searles Argument nur insofern gültig, als wir die betreffende gesell­schaftliche Verhaltensmaßregel als Zusatzprämisse einführen, daß jemand verpflich­tet ist, etwas in einer bestimmten Situation Angekündigtes zu erfüllen. Dies ist aber eine normative Prämisse in dem hier relevanten Sinne einer konventionellen Spielregel.

 

F. Gleich den ethischen Naturalisten nehmen auch die Intuitionisten an, ethische Urteile schrieben den Handlungen, Zuständen etc. objektive Eigenschaften zu und hätten daher einen objektiven Geltungs- oder Wahrheitsanspruch; sie bestreiten jedoch, daß diese moralischen Qualitäten sich durch natürliche definieren lassen. Die ursprünglichen sittlichen Eigenschaften stellen für sie daher schlechthin einfache, undefinierbare Begriffe dar, die nur unmittelbar in einer Art geistiger Schau (Intuition) erfaßbar sind, analog zu den einfachen Sinnesqualitäten, die nur unmittelbar erfahrbar, nicht aber in einer Realdefinition durch ihre begrifflichen Konstituentien erklärbar sind. Entsprechend seien die grundlegenden Wertaussagen, obgleich sie nicht trivialerweise wahre (analytische), sondern synthetische, aber dennoch a priori gültige und notwendige Urteile darstellen, nicht beweisbar und nach Kriterien überprüfbar, sondern nur unmittelbar als selbst-evident aus sich heraus erfaßbar. Diesen starken erkenntnistheoretischen Annahmen entsprechen starke ontologische Prämissen. Schauen (geistig oder sinnlich) kann man nur etwas Vorgegebenes. Die Intuitionisten müssen daher die elementaren sittlichen Qualitäten (Werte) als Quasigegenstände auffassen. Sie sind somit auf die ontologische Position eines Platonismus festgelegt, für den allgemeine Prädikate selbständig Seiende zu ihrer Bedeutung haben, also Namen für eine Art Gegenstände sind. Bereits für Platon ist letzter Maßstab sittlicher Entscheidungen die Schau der Ideen, d.h. ein intuitives Erfassen von Wertbegriffen. Das andere Extrem ist, im Sinne von Wittgenstein anzunehmen, die Bedeutung auch der moralischen Ausdrücke ergebe sich allein aus dem tatsächlichen Sprachgebrauch, der seinerseits durch die in dieser Gemeinschaft faktisch etablierte Lebensform bedingt ist. Hier droht eine Reduktion normativer Begriffe auf die faktischen Bewertungen und Verhaltensweisen. Der Intuitionismus, für den das Verstehen sittlicher Ausdrücke soviel heißt wie die Natur idealer Wesenheiten zu erfassen, verkennt dagegen, daß die konkreten Werturteile immer auch von den faktischen Lebensverhältnissen abhängig sind. Dies verweist darauf, daß die Wertbegriffe komplex sind, insofern in den Begriff des Guten neben dem sittlichen Anspruch auch außersittliche Momente eingehen. Allein so ist es erklärbar, daß im Verlauf der Philosophiegeschichte legitimerweise verschiedene Konzeptionen vom höchsten Gut auftreten konnten, das sicher ein an sich Gutes ist. Dies wird daraus verstehbar, daß in diesen Begriff neben dem universellen für alle gleichen sittlichen Anspruch die ganz unterschiedlichen Lebensbedingungen eingehen, unter denen dieser Anspruch zu realisieren ist. Überzeitliche Werte könnten als elementare Wesenheiten entweder nur so erfaßt werden, wie sie sind, also von allen gleich, oder gänzlich verfehlt werden. Der faktisch unbestreitbare Wertewandel ist nur erklärbar, wenn sich in den Werturteilen nicht bloß eine unmittelbare Wertschau artikuliert, sondern auch ein diskursiver Denkprozeß, der nach der Realisierung der Werte unter den je verschiedenen Lebensbedingungen fragt.

 

G. Moores Argument der offenen Frage soll die Annahme der Definitionstheoretiker zurückweisen, ‘gut’ könne bedeutungsgleich (synonym) zu einem naturalen (beschreibenden) Prädikat gebraucht werden: Man kann bei einer Handlung etc., der dieses naturale Prädikat zukommt, nur dann sinnvoll fragen, ob sie auch gut sei, wenn die negative Antwort widerspruchsfrei ist, beide also nicht synonym sind. Da sinnvolle Zweifel an einer Synonymität aber auch dann möglich sind, wenn einer der beiden Ausdrücke nicht vollständig bekannt ist, ist Moores Argument nur beweiskräftig, wenn er seine intuitionistische Position bereits voraussetzt, daß ‘gut’ unabhängig von einer Definition durch Intuition bekannt ist. Ein entsprechendes Argument ist aber auch gegen den Intuitionismus vorgebracht worden. Selbst wenn einer Handlung eine (intuitiv zu erfassende, ursprüngliche) Werteigenschaft zukommt, kann man noch immer sinnvoll fragen, warum man sie tun sollte. Diesem Einwand kann der Intuitionist entgehen, indem er als ursprüngliche Eigenschaft die des sittlichen Verpflichtetseins annimmt. Auch der Wertethiker könnte annehmen, eine Werteigenschaft enthalte als eine Bedeutungs­komponente den Verpflichtungscharakter; dann könnte sie freilich nicht mehr schlechthin elementar sein. - Indes sind Verpflichtungen wohl kaum als absolute Eigenschaften von Handlungen aufzufassen - allein diese sind intuitiv erfaßbar, nicht aber die notwendig komplexen relationalen Eigenschaften -, vielmehr ergeben sich die Verpflichtungen aus dem komplexen Beziehungsgeflecht realer Lebensvollzüge und Handlungs­zusammen­hänge. - Die materiale Wertethik wird ihrem eigenen Anspruch wohl kaum gerecht, im Unterschied zu Kants Formalismus eine inhaltliche Orientierung für das Handeln zu geben. Dem ontologischen Dualismus, jenseits der erfahrbaren Wirklichkeit ein Reich von Werten anzunehmen, entspricht ein erkenntnistheoretischer, der Welterkenntnnis und Werterfahrung voneinander isoliert. Damit ist aber fraglich, ob eine Schau solcher Werte uns beim Handeln helfen kann, das verlangt, die Handlungs­situation, also einen Teil der empirischen Wirklichkeit, zu verstehen.

 

H. Die Kontroverse zwischen Kognitivismus und Nonkognitivismus besteht sprach­analytisch gesehen in der Frage, ob ein moralischer Ausdruck Teil der Proposition oder des Phrastikon sein kann, der den Sachverhalt bezeichnet, um den es in diesem Satz geht, oder ob er lediglich das Neustikon, die persönliche Stellungnahme des Sprechers zu diesem propositionalen Gehalt ausmacht. Da moralische Ausdrücke für den Kogni­tivisten objektive Eigenschaften bezeichnen, können sie Teil einer als wahr behaupteten Proposition sein, Werte gehören zum objektiven Sachverhalt. Für den Emotivisten (Stevenson) hat ein moralischer Ausdruck dagegen eine interjektionale Bedeutungs­komponente, nach Art einer Interjektion oder (in der mündlichen Kommunikation) des Tonfalls unmittelbar die Emotionen oder gefühlsmäßigen Einstellungen des Sprechers dem bezeichneten Sachverhalt gegenüber auszudrücken, und die imperativische, daß er im Zuhörer ähnliche Gefühle wachzurufen und ihn dadurch zu einem bestimmten Handeln zu motivieren versucht. Zu einem Handeln motivieren kann nämlich nach Hume, auf den der Emotivismus zurückgeht, nicht die Vernunfteinsicht, daß eine Handlung bestimmte Eigenschaften hat, sondern nur Affekte (Gefühlseinstellungen) diesem Handeln gegenüber. Für Stevenson besteht daher die (emotive) Bedeutung eines moralischen Ausdrucks (in bezug auf den Hörer) in nichts anderem als der psychologischen Wirkung, daß er im Hörer bestimmte Gefühlszustände wachruft. - Auch wenn sprachliche Äußerungen unbestreitbar diese Funktion haben können, psychologische Reaktionen hervorzurufen, muß dem Hörer doch ein Bedeutungs­verstehen unabhängig von der intendierten Reaktion möglich sein. Denn er kann die Äußerung eines Propagandaredners sehr wohl verstehen, sich aber dennoch dessen Wirkung entziehen. Ein solches Bedeutungsverstehen unabhängig von der psycho­logischen Wirkung, das Sache der Vernunft ist, muß Stevenson bestreiten, weil er sonst der Vernunft handlungsmotivierende Kraft zuschreiben müßte. - Plausibler ist der Präskriptivismus (Hare). Für ihn lassen sich alle moralischen Urteile letztlich auf Imperative zurückführen. Die vom moralischen Ausdruck bezeichnete Stellungnahme bestünde hiernach also in der Aufforderung des Sprechers, den bezeichneten Sachverhalt zustandezubringen. Zwar können solche Aufforderungen, die eine persönliche Willens­bekundung vom subjektiven Standpunkt aus sind, ebensowenig wahr oder falsch sein wie ein unmittelbares Ausdrücken von Gefühlen (im Gegensatz zu einem distanzierten Bericht darüber). Aber während subjektive Gefühlsäußerungen überhaupt keiner rationalen Bewertung zugänglich sind, kann man bei zunächst persönlichen Auffor­derungen fragen, inwieweit sie sich verallgemeinern lassen (Hares universaler Präskriptivismus. - Die nonkognitivistische Auffassung, von zwei einander wider­sprechenden Beurteilungen derselben Handlung könne keine widerlegt werden, beruht auf der (neo)positivistischen Zweiteilung der wahrheitsfähigen Aussagen in empirische Tatsachenaussagen und analytische Aussagen. Moralische Urteile sind keines von beiden. Sollten sie kraft der Bedeutung wahr sein, müßte man den naturalistischen Fehlschluß anerkennen. Erst recht lassen sie sich nicht empirisch verifizieren oder falsifizieren. - Daß wir moralischen Urteilen gegenüber sinnvoll jene Einstellungen einnehmen können (debattieren, bestreiten, argumentativ begründen), die wahrheitsfähige Propositionen voraussetzen, erklärt der Nonkognitivist damit, dieses Debatten bezögen sich nicht auf die Bewertungen als solche, sondern auf die zu bewertenden Tatsachen. - In Wirklichkeit geschieht dann, wenn wir von der Klärung des Tatbestandes (quid facti) zur Frage übergehen, was moralisch als recht zu bewerten ist (quid iuris), kein Bruch (rationale Argumentation - psychologische Suggestion), beides wird rational erörtert. - Max Webers Forderung einer wertfreien Wissenschaft beruht auf der nonkognitiven These, Wertungen seien nicht weiter begründbare persönliche Grundentscheidungen, die nicht Gegenstand objektiver wissenschaftlicher Tatsachenerkenntnis sein können, sondern höchstens im Vorfeld das Forschungsgebiet festlegen dürfen. - Auch wenn H. Albert moralischen Systemen fast den Status rational überprüfbarer wissenschaftlicher Hypothesen zubilligt, muß er ihrerseits hypothetische Kriterien annehmen um fest­zustellen, ob sie sich bewährt haben. Soll ein Regreß vermieden werden, muß es doch eine nicht weiter zu begründende Entscheidung geben. - Gemeinsam ist allen nonkognitivistischen Positionen, daß sie nur eine instrumentelle praktische Vernunft anerkennen können, die mit den Mitteln zu einem anderweitig (durch Affekte oder Dezision) vorgegebenen Ziel befaßt ist, ob es überhaupt realisierbare Mittel gibt, ob diese nachteilige Nebenwirkungen haben etc. - Es ist möglich, auch ohne objektive Gültigkeit, überindividuell verbindliche Regeln anzunehmen. Diese hätten dann den Charakter von Spielregeln, die ein vorteilhaftes reibungsloses Zusammenleben garantieren sollen. Man hätte sie ganz anders festsetzen können, kann sie revidieren; aber solange sie bestehen, müssen sie, falls sie effektiv sein sollen, von jedem „Teilnehmer des Spiels“ streng befolgt werden.

 

I. Die Frage einer Normenbegründung stellt sich nur, wenn man in praktischen Urteilen (die sich direkt oder indirekt auf Handlungen beziehen) mehr sieht als bloß den Ausdruck einer subjektiven Empfindung: Man muß unbedingt und universell geltende präskriptive Gesetze anerkennen. Diese Geltung braucht nicht zwingend objektiv begründet zu sein; in sie kann auch das Moment einer Dezision oder Konvention eingehen. Daß der Geltungsanspruch einer Norm unbedingt und universell ist, sie also keine Ausnahme duldet, schließt nicht aus, daß in den Inhalt der Norm selbst einschränkende Bedingungen eingehen, die den Geltungsbereich der Norm auf eine genau spezifizierte Handlungssituation oder einen genau umrissenen Personenkreis einengen, vorausgesetzt es läßt sich objektiv begründen, warum die Norm für diese im Unterschied zu jenen Umständen gültig ist. Kants  Unterscheidung hypothetischer und kategorischer Imperative zeigt, welche Bedingungen in einen kategorischen Imperativ eingehen dürfen, d.h. ein konkretes (inhaltlich bestimmtes) sittliches Gebot, das insofern kategorisch, d.h. unbedingt gültig ist, als es den formalen Bedingungen des Kategorischen Imperativs selbst als des obersten sittlichen Prinzips genügt. Ein hypothetischer Imperativ ist demgegenüber eine praktische Klugheitsregel, die die Wahl der geeignetsten Mittel gebietet, vorausgesetzt man will ein bestimmtes Ziel erreichen, das letztlich der eigenen Glückseligkeit dient. Obgleich das Glückseligkeitsstreben als eine anthropologische Konstante a priori bei allen Menschen vorausgesetzt werden kann, können derartige Ziele dennoch nicht kategorisch geboten werden. Ganz abgesehen davon, daß sie von Faktoren abhängen, die nicht in unserer Macht stehen, schließen solche (der Glückseligkeit dienenden) Ziele einander teilweise aus. Daher bedarf es einer Willenssetzung, welches Ziel man tatsächlich verfolgt. In einen kategorischen Imperativ können mithin als Bedingungen nur objektiv beschreibende Präzisierungen der gebotenen und verbotenen Handlungsweise eingehen, nicht aber letztlich nicht zu begründende Willensentscheidungen für ein Ziel.

 

J. Kants Grundgedanke ist: Da ein Grundzug einer sittlichen Norm ihre unbedingte und universelle Geltung ist, liegt das Prinzip der Normenbegründung (das eine Vorschrift in ihrem Charakter als moralische Norm begründet) in der Forderung der Universalisierbarkeit, diese Vorschrift müsse sich konsistent als universell gültig denken lassen. Damit die den Einzelentscheidungen (1. Stufe) zugrundeliegenden Handlungsgrundsätze (Maximen) (2. Stufe), die zunächst bloß individuelle Leitlinien für das eigene Verhalten darstellen, zu wahrhaft sittlichen Grundsätzen werden, müssen sie objektiv begründet, d.h. nach Kant für jedes vernünftige Wesen überhaupt gültig sein. Daher bedarf es des Kategorischen Imperativs als eines obersten Prinzips (3. Stufe) oder Kriteriums, an dem jede einzelne Maxime zu messen ist, ob sie praktisch notwendig und damit genuin sittlich ist. Da es für Kant zentral auf objektive oder universelle Geltung ankommt, muß die Begründung vom Allgemeinen zum Einzelnen verlaufen, weil nur ein oberstes Prinzip das von jedem konkreten Inhalt absieht, schlechthin universell zu gelten und für jedes Vernunftwesen einsichtig zu sein vermag. - Die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ wird in speziellen Formeln entfaltet, die keinen neuen Inhalt bringen, sondern denselben Sachzusammenhang von einem besonderen Standpunkt aus beleuchten. Die formale Seite der gesetzmäßigen Geltung wird in einer Formel dem Verständnis näher gebracht, die auffordert, man solle sich die Handlungsmaxime denken, als ob sie ein Naturgesetz wäre, das als ein deskriptives Gesetz tatsächlich ausnahmslos gilt und nicht wie ein präskriptives Gesetz durchbrochen werden kann. Die inhaltliche oder materiale Seite: das Wollenkönnen (ob man die universelle Geltung der Handlungsmaxime wollen könne) wird in einer weiteren Formel expliziert, man solle die Menschheit gleichermaßen in der eigenen wie in jeder anderen Person - in dieser Forderung der Gleichbehandlung liegt hier die Universalisierung - nie bloß als Mittel gebrauchen, sondern als Zweck in sich selbst achten. Der Begriff eines Zwecks (an sich selbst) bedeutet nach Kant keinen neuen Inhalt, sondern läßt sich aus dem Charakter des Willens ableiten. Jeder Imperativ aber wendet sich mit einer Sollensforderung an den Willen als dasjenige mentale Vermögen, das über das Handeln entscheidet. Ein Wille nun  ist intentional auf Zwecke gerichtet. Konkrete, zu bewirkende Zwecke, die den Inhalt willentlichen Strebens darstellen, schließen sich aber teilweise aus, setzen daher eine willkürliche Dezision voraus und können damit nur in einen hypothetischen Imperativ eingehen. Ein kategorischer Imperativ kann sich nur auf einen selbständigen Zweck beziehen, d.h. den Menschen, der als das Subjekt der Zwecke und des sittlichen Willens immer schon existiert und nicht als Resultat aus einem willentlichen Handeln resultiert. Er ist kein positiver Zweck, der Objekt des willentlichen Strebens und Handelns sein kann, sondern nur negativ oberster Maßstab und einschränkende Bedingung, an der sich alle konkreten Zwecke und die zu ihrer Realisation gebrauchten Mittel müssen messen lassen. Da die Würde des Menschen als eines Zwecks an sich selbst darin begründet liegt, daß er das Subjekt eines sittlichen Willens ist und daß er sich selbst das Sittengesetz gibt, laufen die allgemeine und diese Formel auf dasselbe hinaus. Die Bedingung, daß die Handlungsmaxime als allgemeines Gesetz von jedem vernünftigen Subjekt, also auch von den durch die Handlung Betroffenen, gewollt werden kann, ist nur erfüllt, wenn jeder Betroffene so behandelt wird, wie es seiner Würde als Zweck an sich selbst oder Subjekt sittlichen Wollens entspricht, wenn er diese Handlungsweise also kraft seines sittlichen Wollens gutheißen kann.

 

K. Hare formuliert das Universalisierungskriterium als Forderung nach einem in sich stimmigen (konsistenten) Wortgebrauch, die für präskriptive ebenso wie für deskriptive Prädikate gilt: Wenn ich einem Gegenstand ein Prädikat auf Grund bestimmter Merkmale zuspreche, bin ich gehalten, jedem anderen Gegenstand, der in den entscheidenden Merkmalen übereinstimmt, dasselbe Prädikat zuzuschreiben. Sittlich gesehen ergibt sich hieraus die Forderung nach Unparteilichkeit: Ich darf eine geplante eigene Handlung nur dann als erlaubt, geboten usw. einstufen, wenn ich jedem anderen diese Handlungsweise gleichfalls erlaube usw., auch mir gegenüber, es sei denn, ein objektiver Unterschied in den bewertungsrelevanten beschreibenden Eigenschaften rechtfertigt eine unterschied­liche sittliche Bewertung. Dieses formale Kriterium der Universalisierbarkeit im Sinne eines in sich stimmigen Gebrauchs moralischer Prädikate ist aber nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung eines moralisch richtigen Urteils. Es bedarf weiterer eher inhaltlicher Kriterien: Ich soll mich nach Hare in den Standpunkt des von meiner Handlung Betroffenen hineinversetzen und fragen, ob ich bei meinen Neigungen eine derartige Handlungsweise billigen könnte. Bei Kant spielen solche personalen Standpunkte eine untergeordnete Rolle, da Maßstab der vernünftige (sittliche) Wille ist, der bei allen gleich ist. Selbst wenn jemand beim Standpunkt seiner persönlichen Lebensumstände von einer Handlungsweise (wie Kinderarbeit zu dulden) wollen kann, daß sie allgemeines Gesetz wird, da er nicht betroffen sein kann, kann er es nicht wollen, wenn die Handlungsmaxime durch sich selbst vom sittlichen Willen beurteilt wird. Es droht jedoch Zirkularität, da der Kategorische Imperativ, der bestimmen soll, welche Handlungsweisen sittlich richtig sind (sittlich gewollt werden können), bereits voraussetzt, was sittlich gewollt werden kann. Wenn Hare daher stattdessen die subjektiven Neigungen zum Kriterium macht, dann wird auch der gedachte Wechsel der personalen Standpunkte wichtig. Das Ausgehen von Neigungen bringt Hare jedoch dem Utilitarismus nahe, indem er Unparteilichkeit gegenüber eigenen und fremden Neigungen (Präferenzen) fordert. Die Forderung ist aber typisch utilitaristisch, man solle unparteilich danach streben, daß ein Maximum an Präferenzen aller Beteiligten erfüllt wird.