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Zunächst ein
paar Angaben zu den Lebensdaten von Ladislaus Boros.
Boros wurde am
02.11.1927 in Budapest geboren. 1945 trat er in den Jesuitenorden ein, 1957
wurde er zum Priester geweiht. Im Jahr 1973 trat er in einer nicht gerade
ruhigen Zeit aus dem Orden aus. Er ließ sich laisieren und heiratete. Am
08.11.1981 starb er in Cham in der Schweiz. Ladislaus Boros entfaltete eine rege
schriftstellerische Tätigkeit, zu seinem bekanntesten Werk zählt „Mysterium
mortis“, in diesem stellt er die Endentscheidungshypothese dar. Diese Anfang
der 60 er Jahre vorgestellte Hypothese verband die Erkenntnisse der modernen
Philosophie mit den zentralen, dogmatisierten Glaubensaussagen der kath. Kirche.
Insofern wirkte
sie sehr befruchtend für die Theologie und wurden kontrovers diskutiert.
I. Die These der Endentscheidung
Boros stellt
folgende Hypothese dar. Im Tod eröffnet sich die Möglichkeit zum ersten
vollpersonalen Akt des Menschen; somit ist er, der Tod, der seinsmäßig
bevorzugte Ort des Bewußtwerdens, der Freiheit, der Gottbegegnung und der
Entscheidung über das ewige Schicksal.
Diese abstrakte
Formulierung verdeutlicht er im folgenden Bild.
„Im Tode stellt
sich das Da-Sein an die Grenze allen Seins, plötzlich erwacht, wissend und
befreit. Der verborgene Dynamismus des Da-Seins, aus dem heraus der Mensch bis
dahin lebte, ohne aber daraus je zu einem ganzheitlichen Einsatz zu kommen, wird
jetzt bewußt und frei nachvollzogen. Es strömt dem Menschen sein tiefstes Sein
entgegen. Darin kommt in eins gefaßt, das Weltall auf ihn zu, das er schon
immer verborgen in sich trug, mit dem er schon immer zutiefst vereint war, das
irgendwie schon immer aus ihm entstand. Darin wiederum strömt ihm die
Menschheit entgegen, eine Menschheit, die überall von einem Gleichen getrieben,
ahnungslos unvorstellbare Herrlichkeit in sich trägt. In diesem Strom greift
Gott selbst nach ihm, Gott, der immer schon in jeder Regung seines Da-Seins als
sein tiefstes Geheimnis bei ihm war, aus dem heraus er immer schon sich selbst
geschaffen hat, der ihn immer schon einem ewigen Schicksal entgegentrieb. Jetzt
steht es dem Menschen frei, entweder läßt er in einer letzten Entscheidung
diesen Strom der Wirklichkeit an sich vorbeifließen und dann wird er ewig in
sich selbst versteinert dastehen, wie ein Felsen, an dem der lebenstragende Fluß
vorbeiflutet, zwar herrlich in sich selbst, aber verlassen und für ewig einsam.
Oder er läßt sich von diesem Strom mittragen und wird so selber Strom und fließt
in die ewige Vollendung hinein“.
II. Tod als Problem der Metaphysik - Zeitlichkeit und
des Da-Seins
Die Frage nach
dem Tod stellt uns vor folgende Schwierigkeit.
Der Mensch hat
keine unmittelbare Erfahrung vom Tod. Auch können uns die Erlebnisse derer, die
quasi schon einmal tot waren und dann ins Leben zurückkehrten keine dem
Philosophen befriedigende Antwort liefern, denn der Tod ist ja gerade ein
einmaliges, alles vollendende Wirklichkeit.
Auch können
Menschen, die den Sterbenden bis zur sprichwörtlich letzten Sekunde begleiten,
durchaus Auskunft über den Todeskampf liefern, aber über den Tod bzw. den Übergang
vom Leben zum Tod nicht. Da sie nicht mit ihren Sinnen jenen Vorgang direkt in
mental kognitiver Bedeutung, sondern nur eine Wechselwirkung des physiologischen
mit der Umwelt erkennen können.
Der Tod kann von
außen nicht nachvollzogen werden. Nun ist noch ein weiteres von evidenter
Bedeutung. So stellt sich die Frage, wann ist ein Mensch tot? Man muß
unterscheiden zwischen Sterben und Tod. Somit kommt man zum metaphysischen. Der
Philosoph sieht hinter der Grenze des Greifbaren, der Physik wie Aristoteles es
nennt, also Metaphysik.
Tod wird dabei
gewöhnlich als die Trennung der Seele vom Leib bezeichnet, während der Verfall
des Leibes als sterben verstanden wird.
Die
Endentscheidung die Boros dabei betrachtet, meint genau jenen Punkt des Todes,
nicht den davor und auch nicht jene Zeit danach. Daher ergeben sich nun zwei
Schwierigkeiten. Erstens eine Entscheidung erfordert eine gewisse Zeitspanne,
der Punkt des Todes ist aber nicht zeitlich ausgedehnt, sondern vielmehr
zeitlos. Zweitens ergibt sich somit
die Frage nach der Zeitlichkeit.
Der Tod ist
hierbei kein zeitliches Nacheinander, sondern eine ausdehnungslose
Trennungslinie zwischen zwei Momenten, d. h. der erste Moment danach und der
letzte Moment vor dem Umbruch greifen ineinander, dieser ist also zeithaft. Aber
der Umbruch, die ausdehnungslose Trennungslinie ist zeitlos.
Nun aber was ist
Zeitlichkeit? Die den Geistesakt der Entscheidung ermöglicht.
Sie ereignet sich
auf drei Ebenen. Die eine wird als unterpersonale Zeitebene bezeichnet, auf ihr
treten Ereignisse für einen kurzen Augenblick ins Sein um dann wieder ins
Nichtsein zu entschwinden. Es handelt sich hierbei um eine regelmäßige
Abfolge, in denen sich unsere Welt in unzählige Daseinsblitze zerspaltet, diese
entstehen und werden wieder vernichtet. Jeder Augenblick wird hervorgebracht um
dann wieder ins Nichtsein zu verschwinden.
Die andere Ebene
ist die der inneren personalen Zeitlichkeit. Hier laufen die Momente nicht mehr
gleichförmig ab, vielmehr ist sie für jeden Menschen individuell, so kann der
Eine sie als gemächliches Dahinrinnen empfinden, während ein Anderer sie als
stürmisches Fortrennen empfindet. Wenn wir die unterpersonale Zeitebene mit der
inneren, personalen Zeitebene vergleichen, bemerken wir diese Unterschiede.
Im Tode komm dann
die dritte Zeitstufe in Betracht. Sprachen wir bisher von einer Aufeinanderfolge
der Seinsebenen, so kommt es im Tode zu einer vollpersonalen, totalen
Selbstverwirklichung, die auf einmal geschieht. Für unser Verständnis ergibt
sich die Schwierigkeit, daß wir dieses nur als eine Zusammenballung mehrerer
einzelner Geistesakte verstehen können, obwohl dem nicht so ist.
Diese
Uneigentlichkeit ist es, die die Frage nach der für die Endentscheidung
notwendigen Zeitspanne, obwohl der Umbruch, d. h. die ausdehnungslose
Trennungslinie zeitlos ist, klärt.
Wenn wir das Wort
Uneigentlich hören sind wir bei einem weiteren Problem angelangt, dem des
Da-Seins und seiner Lösungsmöglichkeit bei Heidegger.
In seinem Werk
„Sein und Zeit“, dessen Endfassung obwohl auch sie nicht vollendet wurde,
1927 erschien, hat er die Problematik des Seins und des Todes erörtert und wie
Boros annimmt sogar gelöst.
Heidegger
(1889-1976) hat in der modernen Philosophie die Frage des Seins zu lösen
versucht.
In seinem Werk
geht er über Plato hinaus und gibt an, was sich im Phänomen des Seins immer
schon vorgibt, jedoch an ihm selbst verbirgt, deshalb nennt er seine
Untersuchung Fundalmentalontologie.
Das Grundschema
des Seins ist Da-Sein, als ein in der Welt sein.
Da wir über den
Tod keine direkte Erfahrung haben müssen wir uns diesem auf phänomenologische
oder existential-ontologisch nähern.
Der Tod ist
demzufolge eine Grundbeschaffenheit des lebendigen Da-Seins. Nicht weil wir in
jedem Augenblick sterben können, sondern weil wie die unreife Frucht ihr Sein
erst als reife Frucht charakterisiert, so auch der Mensch im Tod. Das Leben als
Da-Sein, als ein Noch-nicht-Sein, findet Vollendung erst im Tod.
Das Leben im
besorgen der täglichen Dinge ist uneigentlich, erst wenn es im Vorlaufen in den
Tod seine letzte und unüberholbare Möglichkeit annimmt wird es eigentlich. Der
Tod kann nun erfaßt werden, wenn man die verschiedenen Todeshinweise im Da-Sein
erfaßt.
Damit haben wir
aber ein Problem der richtigen Methode.
III. Problem der richtigen Methode
Boros führt eine
Verifizierung der Hypothese auf zwei Ebenen vor, auf einer philosophischen und
einer theologischen Ebene. Damit sieht er sich aber einem gemeinsamen Problem
gegenüber, das der richtigen Methode.
Der Einfachheit
halber, sei die theologische Methode vorangestellt
Boros hält sich
dabei an die im I. Vatikanischen Konzil 1869/70 vorgegebenen Methode. Sie
besteht darin einem theologischen Forschungsgegenstand aus dem Zusammenhang der
Geheimnisse untereinander zu verstehen.
Wenn nun eine
Hypothese verschiedene Glaubensgegebenheiten erhellt, wenn ferner durch sie die
einzelnen Glaubenswahrheiten an Einheitlichkeit gewinnen, wenn letztlich
mit ihrer Hilfe die separat oder nicht separat behandelten Daten der
Glaubenslehre besser zusammengefaßt werden können, so liegt die Vermutung
nahe, daß sie auf ein in den Glaubensgegebenheiten Einbeschlossenes hinweist.
Bei der
philosophischen Methode muß ich etwas mehr ins Detail gehen.
Grundlage ist die
transzedentale Methode, d. h. es werden die dem menschlichen Bewußtsein
impliziten Inhalte beim Denkvollzug offengelegt. Hierfür hat schon Plato mit
seiner Ideenlehre im Dialog Theaites erörtert was Denken sei.
Denken ist ein
schauendes Erfassen der allgemeinen Begriffe, die zu allgemeinen Gegenständen,
zu Ideen werden. Nur könnten wir nie etwas erkennen, wenn wir nicht schon ein
Wissen um diese Ideen in uns haben würden.
Um die
philosophische Ebene der Verifizierung der Endentscheidungshypothese durch Boros
zu verstehen, ist es ratsam, sich dieses bewußt zu sein.
IV. Philosophische
Begründung der Hypothese
Wie schon erwähnt
kann der Tod im Da-Sein erfaßt werden, wenn man die verschiedenen Hinweise im
Leben erfaßt.
Man kann auch
sagen, wir suchen Ereignisse durch die die Fragwürdigkeit des Da-Seins
erfahrbar werden.
Diese Hinweise
werde ich exemplarisch an drei Beispielen aufweisen, die Boros aufführt.
1. Gegenwart des
Todes im menschlichen Wollen.
Maurice Blondel
hat in seinem Werk L`Action, das mit wollen nur unzureichend übersetzt ist, die
Zerissenheit des Menschen in all seinen Handlungen herausgestellt.
Der Mensch
scheint in all seinen Handlungen weiter zu zielen, mehr zu wollen, als das was
er tatsächlich erreichen möchte. Dieses Kennzeichen unseres Dranges und tatsächlich
gewollten ist wesenhaft für unsere Existenz.
Dabei sieht
Blondel ein bewußtes Wollen und einen unbewußten Willensdrang, die den
Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Immer wenn der Mensch etwas erreicht hat,
merkt er, daß er etwas hat, was er eigentlich gar nicht will.
Der Zwiespalt des
Wollens bleibt bis zum Tod erst im Tod kann das Wollen die volle akthafte
Vereinigung mit sich selber ziehen.
2. Tod als Erfüllung
des Erkennens.
Ähnlich wie
Blondel, sieht Joseph Marechals einen Zwiespalt im Menschen. Er nimmt Kant`s
„Kritik der Erkenntnis“ auf, daß unserem Erkennen immer schon Ideen, vgl.
auch Plato, vorschweben. Diese werden bei der Forschung für die eigentliche
Wirklichkeit gehalten, die es zu erkennen gilt.
Somit kennt
unsere Vernunft laut Marechals schon mehr als sie tatsächlich erkennt. So will
unsere Vernunft Gott erkennen und kann begrenztes, sinnliches und weltliches nur
im Vorgriff auf das Unendliche erkennen.
Das menschliche
Erkennen ist also zuerst am sinnlichen
behaftet. Die Selbsterkenntnis ist eine Rückkehr aus der Sinnlichkeit, d. h.
der Welt der Materie.
Erst im Tod kann
der Geist, da er die Materie hinter sich läßt, zu sich kommen.
3. Ganzheitliche
Wahrnehmung und Erinnerung im Tode.
Henri Bergson hat
einen weiteren Zwiespalt aufgezeigt, der die Zerissenheit des Da-Seins
beleuchtet.
Wahrnehmung des
Menschen kann in eine alltägliche, eingeengte und gehemmte Wahrnehmung und in
eine grundsätzlich unbegrenzte Wahrnehmungsfähigkeit geteilt werden.
Da das Da-Sein ständig
von Reizen überflutet wird, erschafft der Geist in einem Akt der Anstrengung
durch Selektion der Reize, seine kleine Welt des täglichen Handelns. Ansonsten
würde das Da-Sein von der Fülle des Wahrgenommenen überfordert, sich in der täglichen
nicht mehr zurecht finden. Nur in kontemplativen Momenten können wir tieferes
erahnen.
Gleiches
entdeckte Bergson in unserer Erinnerung.
Obwohl das
Da-Sein von Geburt an seiner Vergangenheit gegenüber offen ist, stellt sich
unser Bewußtsein gegen eine allumfassende Erinnerung. Der Mensch widmet sich
seiner Zukunft und filtert aus der Vergangenheit nur das aus, was zur Bewältigung
der Zukunft dienlich ist. Erst im Tod kommt die allumfassende Erinnerung.
Somit postuliert
sich im Tod ein Ort der totalen Gegenwart, Wirklichkeit und dem Innesein im
eigenen Da-Sein. Wie in einem Urknall entsteht vor dem Menschen das Universum in
seiner ganzen Fülle, weil er nicht mehr handelt, sonder betrachtet.
In drei Hinweisen
wurde die Heideggersche Feststellung des Todes als Grundbezug des lebendigen
Da-Seins erörtert. Der Tod ragt in das Da-Sein, in Form der Zerissenheit
hinein.
Auch in der
geschichtlichen Entwicklung des Menschen läßt ein Zwiespalt erkennen, so
verliert das Da-Sein von Geburt an Vitalität, bis zur totalen Erschöpfung.
Anderenseits kann
eine Entwicklung beobachtet werden, des zunehmenden Seins, Erweiterung des
Da-Seins und der Freiheit. Im Tod schneiden sich beide Bewegungen, so daß der
Mensch zum erstenmal und endgültig zur Person wird.
Aus den bisher
analysierten stellt sich nun die Frage nach der Definition des Todes neu. Der
Untergang führt zur totalen Umwandlung, man kann sagen Nichtung der Seele.
Nun haben wir
eine Aporie, denn etwas unvernichtbares soll vernichtet werden.
Karl Rahner hat
dieses Problem gelöst, indem er die Lehre Thomas von Aquin über die Beziehung
der Seele zum Leib aufgenommen hat und sie weiterführte.
So stellt er sich
den Umwandlungsvorgang vor. Durch den Vorgang des Todes begibt sich die Seele in
eine wesenhaftere Materiennähe. Damit ist gemeint, daß die Seele zu der Stelle
gelangt, woher die ganze Welt, auch die Materie entspringt.
V. Theologische Begründung der Hypothese
Die entwickelten
philosophischen Grundgedanken werden nun herangezogen, um in die verschiedenen
Glaubensgegebenheiten neue Klarheit zu schaffen.
Diese Methode
wird nun exemplarisch an eine theologische Fragestellung herangetragen um die
Endentscheidungshypothese theologisch zu untermauern.
Es geht um die
Endgültigkeit nach dem Tode. Besteht die Endgültigkeit daher, weil nach dem
Willen Gottes die Prüfungszeit für den Menschen aufhört, oder gibt es andere
transzedente Ursächlichkeiten.
Thomas von Aquin
brachte hier eine Lösungsmöglichkeit in Betracht, demnach ist der Seele
Verdienst oder Mißverdienst immanent, wodurch sie sofort nach Trennung vom
Leib, in den Himmel hinauf, oder in die Hölle hinabsteigt. Diese immanente
Seinsgeneigtheit führt zu einer Aporie, denn einerseits ist Bedingung für die
Begegnung mit dem Unendlichen die volle Freiheit der Seele, die im Augenblick
des Todes zu sich kommt, aber demgegenüber leugnet die immanente
Seinsgeneigtheit die Freiheit der Seele.
Die
Endentscheidungshypothese löst dies auf, im Tode wird es uns möglich,
entscheidungshaft Absolutes zu setzen, da alle Entscheidungsmöglichkeiten
ausgeschöpft sind, erreicht das Da-Sein den Bereich der Endgültigkeit.
Auch beinhaltet
die Endentscheidungshypothese eine Freiheit, die die Endgültigkeit der
Entscheidung nach dem Tod erklärt, denn unaufhörliche Vorläufigkeit würde
alles sinnlos erscheinen lassen.
Auch stellt die
Hypothese keine Freikarte für ein lasterhaftes Leben aus, nach dem Motto, ich sündige
mal schön, denn bereuen kann ich immer noch im Moment des Todes. Die Vorübung
der Endentscheidung ist gerade die Wesensbestimmung der Existenz, des
Seins-zum-Tode.
Jede auch noch so
kleine Entscheidung im Leben gebirt eine Lebensrichtung, die die Endentscheidung
maßgeblich beeinflußt.
Die restlichen
Betrachtungen über theologische Probleme verlaufen nach dem gleichen Schema.
Ein theologisches Problem wird vorgestellt, klassische Lösungsmöglichkeiten
weisen Fehler auf, die mit Hilfe der Endentscheidungshypothese gelöst werden können.
Anhand dieser
Konfrontationen wird herausgestellt, daß gerade die Endentscheidungshypothese
neue Klarheit schaffen kann.